Tor für Bielefeld

Euphorie, Wut, Freude, Verzweiflung, Erleichterung – und das in 90 Minuten. Das alles vermag ein Fußballspiel. Warum das so ist und wie man überhaupt Fan eines Vereins wird, darüber streiten sich Psychologen, Soziologen und nicht zuletzt Philosophen. 11FreundeChefredakteur Philipp Köster prüft die These des englischen Autors Nick Hornby: Man sucht sich den Verein nicht aus, er wird einem gegeben.

Wäre man Fan vom FC Bayern würde man dem sicher uneingeschränkt zustimmen. Obgleich Philipp Köster im bayerischen Bonbingen das Licht der Welt erblickte, hatte das Schicksal anderes mit ihm vor: Er wuchs in Bielefeld auf. Und deshalb fragt er sich im Vorwort von „Tor für Bielefeld. Die besten Arminia-Spiele aller Zeiten“: „Welcher missgünstige Weltgeist hat uns ausgerechnet einen Klub zugeteilt, der uns seit vielen, vielen Jahren auf kunstfertige Art und Weise gequält und gepiesackt hat, der immer wieder falsche Hoffnungen geweckt und immer wieder mit dem dicken Hintern eingerissen hat, was fleißige Hände zuvor mühsam aufgebaut hatten? Mit diesem verbitterten Fußballgott hatten wir doch ein Hühnchen zu rupfen. Er ließ uns 1985 nach dem Abstieg weinen, jagte uns über die maroden Dorfsportplätze von Schöppingen und Buer-Hassel, schickte uns die Manager Rüdiger Lamm und Roland Kentsch, genehmigte eine völlig überteuerte Haupttribüne, drohte Arminia jahrelang mit der Insolvenz und ließ schließlich Darmstadt 98 in der letzten Minute der Verlängerung treffen.“

WILLKOMMEN IM KLUB

Sein erstes Arminia-Spiel sah Philipp Köster im Mai 1982. Bielefeld schlug Mönchengladbach mit 5:0 und Jupp Heynckes lief auf der Trainerbank der Gäste wutrot an. Seither hat Köster den Klub durch alle Höhen und Tiefen begleitet, von den notdürftig befestigten Dorfsportplätzen der Oberliga Westfalen bis zu den großen Stadien der Bundesliga. Seine ganz persönlichen Erlebnisse mit denkwürdigen Toren und skurrilen Ereignissen rund um die Spiele schildert er mit einer gehörigen Portion Humor. Was bleibt einem auch übrig, wenn Darmstadts Elton da Costa in der fast letzten Sekunde der Nachspielzeit der Verlängerung (120. + 2) Arminia um den Klassenerhalt bringt? Bezeichnend für Arminia war, was danach geschah: „Eine rauschhafte Saison, an deren Ende Arminia in die zweite Liga zurückkehrte und nebenher souverän bis ins DFB-Pokal-Halbfinale marschierte“, wie der 48-Jährige schreibt, der lange Jahre immer nur mit einem Ohr hingehört hatte, wenn mal wieder die erste Runde des DFB-Pokals ausgelost wurde. „Denn unser Klub hatte sich offenbar entschlossen, jedes Jahr das gleiche ernüchternde Schauspiel aufzuführen: Die erste Runde wurde mit Mühe und Not gegen einen überambitionierten Regionalligisten überstanden, in der zweiten Runde wurde uns dann ein Bundesligist zugelost, der auf der Alm klar mit mehreren Toren Unterschied gewann.“

WIR FAHREN (FAST) NACH BERLIN

Das gestaltete sich in der Saison 2014/2015 jedoch anders: Nach dem SV Sandhausen, Hertha BSC Berlin und dem SV Werder Bremen stand das Viertelfinale an. Und klar: Als Drittligist hatte Arminia Heimrecht gegen Borussia Mönchengladbach. Ein Spiel, das auch die Schreiberin dieser Zeilen mit Schnappatmung im Stadion miterlebte. Arminia ging nach einem Treffer von Manuel Junglas in der 26. Minute in Führung. Die folgenden Ereignisse beschreibt der Sportjournalist folgendermaßen: „Die proppevolle Alm ersoff in ungläubigem Jubel, der erst abebbte, als fünf Minuten später Müller eine Flanke aus dem Strafraum gepritscht hatte und Kruse den Elfmeter ungefährdet zum 1:1 verwandelte. Dennoch, die Stimmung auf der Alm war schwer zu beschreiben. Immer wieder donnerten Choräle durchs Stadion. Wir sahen Mittvierziger, die so wirkten, als würden sie am liebsten noch bis zum Schichtbeginn am nächsten Morgen auf der Alm bleiben. Und wir sahen Mütter, die so beseelt und mit gestrecktem Schal die Arminia-Hymne mitsangen, als habe Pur gerade in der Westfalenhalle ,Abenteuerland` angestimmt. All das war eine so unwirkliche Szenerie, dass sich alteingesessene Zuschauer die Augen rieben. War die Alm plötzlich eine Mischung aus Anfield und La Bombonera? Und woher nahm der vom Naturell her eher passiv-aggressive Ostwestfale plötzlich das südländische Temperament her? Sogar ARD-Anchorman Reinhold Beckmann, der schon so manch hitzige Arena erlebt hatte, fragte später verwundert nach, seit wann bitte auf der Alm so ausdauernd gesungen werde.

Nach einem für unsere Nerven schwer erträglichen Abnutzungskampf stand es jedenfalls nach 120 Minuten immer noch 1:1, was abermals ein Elfmeterschießen nötig machte. Und wir konnten uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass erfahrene Haudegen wie Raffael oder Granit Xhaka ähnlich lustlos zum Elfmeterschießen marschieren würden wie die Herthaner vor ein paar Monaten. Aber tatsächlich verschoss gleich der Filigrantechniker Raffael seinen Elfmeter, was die sichtlich nervöse Arminia-Mannschaft leichtfüßig durchs Elfmeterschießen trug. Zwar parierte Gladbachs Keeper Yann Sommer den etwas zu zögerlich geschossenen Elfer von Marc Lorenz, dann flog Arminias Torwart Alex Schwolow durchs Tor und fischte Ibrahima Traorés Elfmeter aus der Ecke. Das erleichterte Gebrüll der Zuschauer war noch bis weit in Bielefelds Innenstadt zu hören. Danach ließ sich die Mannschaft vor der Südtribüne feiern.“ Im Halbfinale fand der Höhenflug beim chancenlosen 0:4 gegen Wolfsburg zwar ein Ende, aber das hielt die Fans nicht davon ab, ihr Team so zu feiern, als wäre es der Gewinn der Champions League. Stürmer Fabian Klos postete später: „Sprachlos aufgrund der Szenen, die sich auf den Rängen abgespielt haben! Gänsehaut, ohne Worte, ihr seid überragend! Kein Geld der Welt kann wahre Fanliebe ersetzen.“ Und Philipp Köster schließt das Kapitel mit den Worten: „Und wir träumten weiter von dem Jahr, in dem wir wirklich nach Berlin fahren und am Breitscheidplatz den dicken Max machen.“ Und wie geht es mit Arminia weiter? Klassenerhalt? Abstieg? Eine neuerliche furiose Zweitliga- und/ oder DFB-Pokal-Saison? Wir wissen es nicht. Am Ende dieser Saison wird es wahrscheinlich so sein, wie es DSC-Alterspräsident Jörg Zillies mal formulierte: „Wenn es für Arminia gut läuft, dann wird es eng.“

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Die besten ArminiaSpiele aller Zeiten
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