Interview mit Konrad Kästner

Nach Abenden wie „Faust 2“ und „Das Material“ bringt Konrad Kästner einen neuen Video-Theater-Essay an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion auf die Bühne des Theater Bielefeld. Eine etwas andere Auseinandersetzung mit der Weltuntergangsstimmung, die aktuell von einer ganzen Vielzahl von Katastrophen angeheizt wird.

Der freie Regisseur und Videokünstler stammt aus Leipzig, arbeitete mehrere Jahre als Researcher und Regieassistent für Werbefilme in Südafrika und studierte anschließend Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam Babelsberg. Sein Film „Kathedralen“ wurde u. a. mit dem Max-Bresele-Preis für politisch relevante Filme ausgezeichnet und hat sich für den Academy Award 2015 qualifiziert. Konrad Kästner führte die Videoregie bei zahlreichen Opern und Theaterstücken u. a. am Theater Bielefeld, den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, den Staatstheatern Kassel, Braunschweig, Mainz und Karlsruhe, am Theater Lübeck und an der Oper Halle (Saale). Mit eigenen Inszenierungen wie „Der Auftrag“, „Die Möglichkeit“, „Das Material“ und „Faust 2“ am Theater Bielefeld befasst sich Konrad Kästner mit neuen Wegen im Recherchetheater und der ästhetischen Verknüpfung von Dokumentarfilm, Theater und Interaktion. https://spotundpixel.de

Was hat Sie auf die Idee zu „Apokalypse, bitte!“ gebracht?

Am Anfang der Corona-Pandemie habe ich ein bisschen den Glauben an die Menschheit verloren, als das Klopapier knapp wurde und alle den Fortbestand der Zivilisation an einen sauberen Hintern geknüpft haben. Nach zwei Jahren haben wir nun gelernt, dass die Welt nicht untergegangen ist, die Menschheit überlebt hat und dass das mit den Lieferengpässen von Klopapier auch nicht so schlimm war, wie alle dachten. Dann marschiert Russland in die Ukraine ein und auf einmal prügeln sich wieder Menschen im Supermarkt um Sonnenblumenöl. Ausgerechnet. Als wäre das unser größtes Problem, wenn die internationale Werteordnung über den Haufen geworfen wird. Das hat mir Angst gemacht. Und das war für mich der Moment, in dem ich gemerkt habe, wie mächtig Angst sein kann, was sie mit uns anstellt, wie man sie nutzen kann und was für absurde Züge sie manchmal annimmt. Gleichzeitig kam aus dem Bielefelder Theater der Wunsch, unserer Theaterform nach den drei Stücken im TAMzwei mal eine größere Bühne zu bieten. Wenn wir also schon eine größere Bühne haben, dann halten wir uns nicht mit kleinen Themen auf. Das Ende der Menschheit schien da ganz passend.

Seit Corona und Klimakrise sind weitere Schreckensmeldungen hinzugekommen. Haben die Angriffe auf die Ukraine und Israel sich auf die Stückentwicklung niedergeschlagen?

Natürlich. Das liegt alleine schon daran, dass das Stück noch nicht fertig ist. Es entsteht ja erst in der Probenzeit zusammen mit den Darstellern. Wir fangen sozusagen mit einer offenen Fragestellung an und werfen uns in verschiedene Situationen, aus denen dann ein riesiges Puzzle entsteht, das man am Ende Theater nennen kann. Alles, was uns da umgibt, hat Einfluss auf das Stück, denn es ist ein zugespitztes Abbild unserer Zeit. Daran haben die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten natürlich auch einen schrecklichen Anteil.

Wie ist Ihr persönlicher Umgang mit den gehäuften Katastrophenmeldungen und welchen Ansatz hat Ihr Stück?

Als Videokünstler bekommt man ja öfter den Auftrag, zum Beispiel einer Oper noch schnell den Hauch von Aktualität zu geben und sie mit Bildmaterial der aktuellen Krisen zu versehen. Also sitze ich nachts vorm Rechner und erweitere ständig mein Archiv an überfluteten Städten, zerbombten Städten, vom Sturm auseinandergefetzten Städten oder vom Kapitalismus zersetzten Städten. Wahlweise, wenn man es richtig hart haben will, kann man „Städte“ gegen „Menschen“ und deren Einzelschicksale austauschen. Es ist wie ein Regler, den man beliebig hochschieben kann und das Archiv an Schreckensmeldungen wächst und wächst. Wenn man sich die Medienlandschaft so anschaut, bekommt man den Eindruck, als wäre die Apokalypse schon in vollem Gange. „Der Kipppunkt ist nur eine Schreckensmeldung entfernt. Bleiben Sie dran!“ Entweder, man lässt sich von der Angst auffressen, stumpft ab und lässt das Mediengewitter über sich ergehen, oder man versucht, aktiv etwas gegen diese Angst zu tun. Das versuchen wir in unserem Stück. Wir wollen den Zuschauern – und nebenbei uns selbst – beibringen, wie man sich wappnen und vorbereiten kann, um sich dieser Angst zu stellen oder zumindest weniger davon zu haben. Mal schauen, ob das klappt.

Lässt sich aus der Katastrophe auch Komik generieren und wenn ja: wie?

Der Galgenhumor kommt, wenn man mit einem gewissen Grad an Verzweiflung auf die Dinge schaut, von ganz allein. Wenn Menschen meinen, sich in einer weltweiten Pandemie um Klopapier prügeln zu müssen und wenn es in einem Werbespot des Ministeriums für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Donuts regnet, dann ist das so absurd, dass man drüber lachen müsste, wenn es nicht so schrecklich wäre. Also kratzen wir uns am Kopf und lachen zwischendurch ein bisschen. Davon geht die Welt auch nicht unter.

Was kann ein Video-Theater-Essay anders rüberbringen als ein klassisches Theaterstück?

Eigentlich nichts. Die Meta-Ebenen sehen nur ein bisschen schicker aus.

Was reizt Sie allgemein an der Gratwanderung zwischen Dokumentation und Fiktion?

Als ich Filmregie studiert habe, gab es immer eine gewisse Glaubwürdigkeitsgrenze. Im Spielfilm durfte eine Handlung nicht zu abwegig sein, denn ansonsten war sie nicht mehr authentisch und man wurde gefragt, was genau man sich dabei gedacht hat und warum die Figur jetzt dies oder jenes tut. Das fand ich ehrlich gesagt ganz schön lästig.

Im Dokumentarfilm können die absurdesten Dinge passieren. Dinge, die man sich nie hätte ausdenken können. Und wenn da jemand kommt und fragt, warum das jetzt so passiert ist, kann ich sagen: Ist halt einfach so passiert. Punkt. Wenn man wie ich nicht sonderlich gut schreiben kann, ist die Realität sowieso immer spannender als die Fiktion. Im Theater kommt da noch eine weitere Ebene dazu. Wir sehen da einen echten Menschen auf der Bühne, der so tut, als würde er einen echten Menschen spielen. Dieser Mensch steht in einem abstrakten Raum, dem wir erstmal alles glauben wollen. Ein Supermarkt auf der Bühne muss nicht fotorealistisch aussehen, damit wir ihn uns plastisch vorstellen und eintauchen können. Fiktion und Realismus verschwimmen auf der Bühne sowieso schon miteinander. Wenn wir dann noch mit der Kamera rausgehen und unser Publikum so mit an echte Orte nehmen, an die es selbst vielleicht nie gekommen wäre – wenn wir echte Situationen durchleben und uns transparent zum Teil des Stückes machen – und wenn wir diese echte Welt dann mit in den abstrakten Theaterraum bringen, dann ist die Verwirrung komplett. Wenn niemand mehr weiß, was echt und was Fiktion ist, dann kann alles passieren. Dann darf alles passieren. Und da soll mir noch einer sagen, dass das nicht reizvoll wäre. ✔