In einer quirligen Metropole trifft man auf spannende Menschen, die das Stadtleben durch ihr engagiertes Tun bereichern. Wir stellen einige von ihnen vor.

Linda Muskat (31)

Biologin

Sie ist kreativ, gut im Netzwerken und hat – ko-betreut von der Fachhochschule Bielefeld – eine Doktorarbeit mit enormem Potenzial vorgelegt. Ihr Thema: Wie sind Pflanzenschutzmittel konzipiert, die vollständig biologisch abbaubar sind? Ihr bester Freund dabei: ein Pilz namens Pandora. Die Grundlagenforschung dazu ist superspannend“, sagt Dr. Linda Muskat vom Bielefelder Institut für Angewandte Materialforschung an der FH Bielefeld. „Aber am meisten begeistern mich Pilze, wenn man sie nutzen kann.“

Einige eignen sich für die Herstellung von Verpackungsmaterialien und Möbeln, andere können lebensrettende Medikamentenwirkstoffe produzieren. Mit einem Pilz, der wissenschaftlich noch gar nicht beschrieben ist, geht die Wissenschaftlerin gegen Insekten vor, die bakterielle Pflanzenkrankheiten übertragen können, beispielsweise die Apfeltriebsucht, die von Blattfl öhen übertragen wird und in Apfelplantagen mit verheerenden Auswirkungen grassieren kann. Die tödliche – und dabei umweltfreundliche – Mischung aus dem Bielefelder Labor nutzt als Trägersubstanz ein fettbasiertes Gel, damit sie in der Apfelplantage ihre Wirkung voll entfalten kann. Biologisch abbaubar ist das Oleo-Gel außerdem. Aber damit daraus ein marktreifes Pflanzenschutzmittel wird, muss sich ein weiterer Projektpartner der Sache annehmen. Die Leidenschaft für „pilzliches“ und pflanzliches Leben hat bei Familie Muskat Tradition. Ihr Großvater: promovierter Biologe, Schwerpunkt Mykologie. Ihr Vater: Winzer und Forscher auf dem Gebiet Weinbau und Bodenkunde. Ihre Mutter: Gärtnerin und studierte Landschaftsarchitektin. ✔

Hiltrud BöckerLönnendonker (87)

Autorin von u. a. „Else Zimmermann,
Widerstandskämpferin und erste Landrätin
der Bundesrepublik”

Es sind bedeutende Bielefelderinnen, die Hiltrud Böcker- Lönnendonker mit ihren Büchern davor bewahrt, in Vergessenheit zu geraten. Nach Karoline Oetker und Sophie Crüwell hat sie sich nun mit Else Zimmermann beschäftigt. Bereits 2009 war Hiltrud Böcker- Lönnendonker von Herausgeberin Bärbel Sunderbrink gebeten worden, einen Aufsatz über die erste Landrätin der Bundesrepublik zu schreiben, der 2010 in „Frauen in der Bielefelder Geschichte“ veröffentlicht wurde.

„Hier lag der Schwerpunkt auf der politischen Karriere. Von 1963 bis 1967 war Else Zimmermann die erste Frau in dieser politischen Funktion. „Ihre Rolle als Widerstandskämpferin in den Jahren 1933 bis 1945 kam dabei zu kurz“, stellt die ehemalige Schulleiterin fest. Durch die Vorbereitungen zur durch Corona lange verzögerten 2022 in Bielefeld gastierenden Wanderausstellung „Nichts war vergeblich“ rückte Else Zimmermann wieder in den Fokus. Der Historische Verein sagte zu, eine Monographie über diese bedeutende Bielefelderin zu veröffentlichen. „Das hat mich motiviert“ sagt die 87-Jährige. Mit viel Sensibilität schildert die Autorin den couragierten Kampf der jungen Else Zimmermann gegen die Nazis, den diese fast mit ihrem Leben bezahlt hätte und die nach 1945 ihre ganze Kraft in den Aufbau der Demokratie steckte und als erste Landrätin die männlich dominierte Bastion der Politik eroberte. Erst ein Hirntumor stoppte ihre politische Karriere, die Else Zimmermann einst selbst so einordnete: „Viel, viel Arbeit und ein ganz klein wenig Glück.“ ✔

Joel Köhn (35)

Producer & Musiker

Knickende Äste, das Quietschen des Briefkastens am Bunker Ulmenwall, das Rumpeln der alten Webund Flachsmaschine im Historischen Museum oder das Knatschen einer Gittertür in den Katakomben der Sparrenburg: Joel Köhn hat Bielefelds Sound eingefangen und macht ihn mit jedem Beat-Element hörbar. Der Bielefelder Produzent und Musiker verarbeitete seine Fieldrecordings jetzt für „Linen“ zu rhythmischen Strukturen und Loops. Sie bilden die Basis für die Tracks. „Das ist meine Art, mir selbst Grenzen zu setzen“, sagt Joel Köhn, der Sounds – dort, wo sie nicht direkt vermutet werden – sucht, aufnimmt und verarbeitet. Mal erkennbar, wie bei den Flachsmaschinen im Song „Operate“, mal verfremdet.

„Denn was in den Songs wie … oder … nach Schlagzeug klingt, ist kein Schlagzeug“, verrät der Bielefelder, der sein Album mit 23 lokalen Musiker*innen, die ihn auf seinem Weg bisher begleiteten, umgesetzt hat: von Ramona Kozma über Ruven Weithöner und Nils Rabente bis Kristin Shey. Sinnbildlich für die Zeit, in der das Album entstanden ist, steht auch sein Wunsch, einen Chor einzubinden, obwohl er allein im Studio saß. „Es ist alles andere als eine klassische Studioproduktion, da es in Zeiten der Distanz aufgenommen wurde. Statt des geplanten Miteinanders und des Treffens brauchte es flexible Arbeitsweisen und -orte. Miteinander hat nämlich niemand gespielt“, sagt Joel Köhn, der für Linen komponiert und getextet hat. Das Album ist seine subtile Liebeserklärung an die Leineweberstadt, angesiedelt zwischen Electronica oder Downbeat. So klingt Bielefeld. ✔

Karel Tomšík (24)

Double Degree Absolvent

Neun Monate hat Karel Tomšík aus Tschechien an der FH Bielefeld studiert und einen zweiten Bachelor-Titel erworben. Der Double Degree wurde zu einer prägenden Erfahrung für den 24-Jährigen. Daheim an der Czech University of Life Sciences Prague tummelt er sich weiterhin unter internationalen Studierenden – inzwischen als Dozent mit Masterabschluss.

„Es war einfach zu verlockend, diese Option im Rahmen meines Wirtschaftsstudiums wahrzunehmen“, sagt Karel Tomšík über den Double Degree. „Deutsch ist schließlich meine zweite Fremdsprache. Obwohl ich zugeben muss, dass ich bis zu dem Zeitpunkt, als mir mein Institut dieses Angebot machte, noch nie von Bielefeld gehört hatte.“ Wie das Nachbarland tickt, hatte er jedoch schon häufiger erkundet, etwa auf Kurztrips nach Berlin. Oder auf den Konzerttourneen der Blaskapelle, in der er das Bassflügelhorn spielt. Seine Zeit in Bielefeld sieht Karel Tomšík rückblickend als sehr wertvoll an. „Ich finde die Stadt und die ganze Region wunderschön“, sagt er. „Und die Fachhochschule ist toll. Ich mochte die Einstellung der Professoren, und meine Studierendengruppe war sehr international. Hier konnte ich Freundschaften schließen, die auch schon zu gemeinsamen akademischen Projekten geführt haben.“ Ganz weg aus seiner tschechischen Heimat will der junge Dozent zwar nicht. „Aber als Gastdozent möchte ich auf jeden Fall auch im Ausland unterrichten.“ So gibt es vielleicht bald ein Wiedersehen mit Bielefeld. ✔

Heidemarie
Bhatti-Küppers (77)

Künstlerische Leitung und Vorsitzende des Vereins capella hospitalis

1899 wurde die Kapelle am Klinikum Bielefeld Mitte eröffnet. 100 Jahre später drohte das denkmalgeschützte Kleinod zu verfallen – bis sich der Verein „capella hospitalis“ gründete und für dessen Rettung einsetzte. Am 10.5.2003 wurde die Kapelle zum zweiten Mal eröffnet. Seit inzwischen 20 Jahren lebt der besondere Veranstaltungsort vom Engagement zahlreicher Bielefelder*innen.

Eine von ihnen ist Heidemarie Bhatti-Küppers, seit 2014 künstlerische Leitung und seit diesem Jahr auch Vorsitzende des Vereins. Ihr Lebensweg führte sie von München über Neu-Delhi nach Bielefeld, wo sie nun seit über 40 Jahren lebt und arbeitet. „Zur capella hospitalis bin ich über meine Freundschaft mit der Künstlerin Elisabeth Masé gekommen, die die Innenräume der Kapelle gestaltet hat“, erinnert sich die weitgereiste Wahlbielefelderin. „Sie hat anfangs auch die Veranstaltungen ins Leben gerufen und mich angesprochen, ob ich mitmachen möchte und weitere Leute kenne, die mitmachen.“ Und so holte die Germanistin und Musikwissenschaftlerin weitere Künstler*innen verschiedener Branchen für Veranstaltungen mit ins Boot – unter anderem ihre beiden Söhne, die Komponisten Vivan und Ketan Bhatti.

Das künstlerische Programm in der capella hospitalis ist vielseitig. „Eine Mischung als alt und neu“, so Heidemarie Bhatti-Küppers. „Ganz traditionelle Kammermusik steht neben Eigenkompositionen und experimentellen Projekten etwa der Cooperativa Neue Musik, die regelmäßig hier auftritt. Wir machen auch musikalisch untermalte Lesungen oder Ausstellungen mittels Wandprojektionen. Und wir sind immer für Vorschläge und Anregungen dankbar.“ Für neue Mitstreiter*innen, die Veranstaltungen organisieren und betreuen, übrigens ebenso.

Reichlich Engagement bringen auch die auftretenden Künstler*innen mit. Obwohl sie bedauerlicherweise keine Gage bekommen, sondern nur gegen Spende auftreten, kommen sie immer wieder gerne, weil sie die besondere Atmosphäre und das wunderbare Publikum so schätzen.

www.capella-hospitalis.de

Tipp: Am 12. Mai findet ein Jubiläumskonzert mit der Berliner Sängerin Margarete Huber statt. Ihr Programm „Remix“ übersetzt Lieder für Sopran und Klavierbegleitung vom 17. Jahrhundert bis heute in zeitgenössische Musik. Am 14.5. ist eine Matinee mit allen Gruppen geplant, die in der capella hospitalis aktiv sind.

Text: Eike Birck, Corinna Bokermann, Stefanie Gomoll