In einer quirligen Metropole trifft man auf spannende Menschen, die das Stadtleben durch ihr engagiertes Tun bereichern. Wir stellen einige von ihnen vor.

Leonie Riedke (21) & Merle Peters (22)
Quasselstrippen

Ob Tierschutz, Serienempfehlungen, Stress, Erwachsenwerden oder Dorf- versus Stadtleben – ihnen geht der Gesprächsstoff nicht aus. Das brachte die beiden Bielefelderinnen auf eine Idee: Anfang des Jahres starteten sie als „Quasselstrippen“ mit einem eigenen wöchentlichen Podcast durch. „Wenn wir uns treffen, quatschen und diskutieren wir oft stundenlang über alle möglichen Themen, die uns bewegen und inspirieren“, sagt Lehramtsstudentin Leoni Riedke. „Da wir selbst große Podcast-Fans sind, wollten wir unsere Gedanken teilen und über Themen sprechen, die unserer Meinung nach zu wenig Gehör in der Öffentlichkeit finden – und haben angefangen, unsere Gespräche aufzunehmen.“ Die jungen Bielefelderinnen hatten keinerlei Vorerfahrung und haben den Sprung ins kalte Wasser gewagt. „Natürlich braucht es in erster Linie Mut, frei und flüssig reden zu können“, sagt Industriekauffrau und BWL-Studentin Merle Peters. „Auch die technischen Grundlagen haben wir uns selbst angeeignet und freuen uns, dass die ersten Folgen so gut ankommen.“ Für 2022 ist das Ziel der beiden klar: „Wir möchten mit unserem Podcast noch mehr Menschen erreichen, inspirieren und zum Diskutieren anregen und hoffen, dass unsere Community weiter so toll wächst, wie in den ersten Monaten.“

TIPP: Den Podcast gibt es auf vielen gängigen
Streaming-Plattformen sowie auf Instagram unter
quasselstrippen_der.podcast.

DR. EMANUEL HÜBNER (44)
Ortskurator Bielefeld der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Denkmalschutz ist Ehrensache. Auch für Emanuel Hübner. Er ist seit diesem Jahr das „Gesicht“ der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) in Bielefeld. Der in Bielefeld geborene und in Ostwestfalen aufgewachsene Historiker und Studienrat studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Klassische Archäologie, Alte Geschichten und Ur- und Frühgeschichte auf Magister und im Lehramtsstudium die Fächer Geschichte und Geographie. Doch damit nicht genug. Nach seinem Studienabschluss 2007 sattelte er noch einen Studiengang Denkmalpfl ege an der TU Berlin auf. Die Abschlussarbeit über ein denkmalgeschütztes Gebäude des Olympischen Dorfes aus dem Jahr 1936 nahe Berlin geriet ihm dann zur Doktorarbeit. Nun über das gesamte Olympische Dorf. Zeitgleich arbeitete er von 2007 bis 2020 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Münster. Inzwischen ist er wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt und unterrichtet an einem Herforder Gymnasium. „Ich bin davon überzeugt”, so der promovierte Historiker, „dass die Vergangenheit unsere Gegenwart in hohem Maße prägt. Dies gilt insbesondere für die aus der Vergangenheit erhaltenen baulichen Relikte. Sie sind eindrückliche Identifikationsangebote in der Gegenwart und sollen es auch in der Zukunft sein. Es gilt, sie deshalb zu schützen und für die Zukunft zu erhalten.“ Für ihn ist dies Motivation, die Arbeit der DSD ehrenamtlich zu unterstützen. Das neu eingerichtete Ortskuratorium in Bielefeld ist übrigens eins von über 80 bundesweit. Sie organisieren u. a. Ausstellungen, Vorträge, Führungen und Konzerte, informieren über die Arbeit und unterstützen Denkmale durch Benefi zveranstaltungen.

Jutta Geisler (65)
Inhaberin Factory Kommunikation

Sinnstiftend Zeit zu investieren, füllt sie aus und bestimmt seit Pandemiebeginn einen Großteil ihrer Aktivitäten. Jutta Geisler engagiert sich bei der Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut e.V. „Durch einen Facebook-Aufruf bin ich auf die Anstrengungen der Stiftung aufmerksam geworden“, erklärt die Bielefelderin, die sich spontan entschloss, selbst mit anzupacken und zu helfen. Und so lieferte sie im Rahmen der solidarischen Coronahilfe im ersten Lockdown Lebensmittel an Bedürftige aus. Mittlerweile gehört sie zum Projektleitungsteam und auch das Aufgabenspektrum hat sich – wie die Pandemie selbst – verändert. Mittlerweile umfasst die Hilfe weit mehr als das Sammeln von Lebensmittelspenden, es geht auch um Hilfen für ältere Menschen bei Arztbesuchen oder um die Organisation von Möbeln für Schwangere. „Eigentlich ist es die klassische Nachbarschaftshilfe“, so die 65-Jährige mit Blick auf das Netzwerk und die Community, die sich über die sozialen Medien organisiert. Durch den Krieg in der Ukraine ist jetzt auch die Unterstützung von Geflüchteten hinzugekommen. Das Spektrum reicht von Hilfen bei der Registrierung über die Beschaffung von Betten und Matratzenbis hin zu Shuttle Diensten oder die Vermittlung von Übersetzer*innen. „Wir haben auch eine kleine Kleiderkammer eingerichtet“, erzählt Jutta Geisler. „Die Hilfsbereitschaft ist angesichts der aktuellen Notlage groß. Wir bewegen etwas und das macht mich glücklich.“

Simone Sandroni (53)
Tanzchef des Theaters Bielefeld

Immer in Bewegung bleiben, bloß nicht in der Komfortzone verharren. Diese Devise scheint für Tänzerinnen und Choreographinnen ganz besonders zu gelten. So hat es sein
Vorgänger Gregor Zöllig gehalten, und so hält es jetzt auch Simone Sandroni. Seit 2015 ist der Italiener Chefchoreograf und Leiter von TANZ Bielefeld. Seine siebte Spielzeit ist zugleich die letzte. „Ich bin dankbar und glücklich über meine lange Zeit hier in Bielefeld und über die kontinuierliche, erfolgreiche Arbeit mit so talentierten Tänzerinnen und einem tollen Team“, so Simone Sandroni. „Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich weiterziehen möchte.“ Das Publikum hätte ihn sicherlich gerne daran gehindert, denn die zahlreichen Produktionen des Tanzchefs haben immer wieder begeistert. Seine mitreißenden Choreografien zeichnen sich durch Humor, Leichtigkeit und gleichzeitig einen starken physischen Ausdruck sowie das Ausloten der mentalen und körperlichen Grenzen der Tänzerinnen aus. Damit ist es Simone Sandroni in den vergangenen Jahren gelungen, das Renommee der Bielefelder Tanzsparte weit über die Grenzen der Stadt hinaus zu festigen. Wohin es den sympathischen Choreographen ziehen wird, stand bei Redaktionsschluss übrigens noch nicht fest. Sicher ist dagegen, dass die Bielefelderinnen seine ganz eigene Handschrift vermissen werden.

UNSER TIPP: Mit „A F**ing Crazy Show About the
Madness of the Stage“ feiert am 13. Mai Simone Sandronis
letzte Produktion in Bielefeld Premiere.

CHRISTINE RUIS (65)
Schauspielerin, Regisseurin,
Theaterpädagogin

Manchmal werden Wünsche wahr. Und manchmal muss man zurückblicken, um das zu bemerken.
Ganz konkret hat Christine Ruis im 1985 erschienenen Buch „Theater des Zorns und der Zärtlichkeit“ über das Theaterlabor geblättert, für das sie interviewt wurde. „Damals war ich als Pädagogin Quereinsteigerin, und konnte noch nicht ahnen, was mein Weg sein würde. Aber was ich formuliert habe – einen eigenen Stil finden, Sachen machen, hinter denen ich voll und ganz stehe –, ist in Erfüllung gegangen.“ „Was will ich eigentlich?“ Diese Frage hat Christine Ruis auch bei ihrer aktuellen Produktion „Irgendwo … Frau Melperts vermisst die Welt“ umgetrieben. In dem Stück geht es der Wahl-Bielefelderin nicht darum, sich als Schauspielerin zu beweisen, sondern Themen wie die Liebe zur Natur und den Klimawandel erlebbar zu machen. „Meiner Einschätzung nach ist die Zuspitzung des Klimawandels nicht mit rationalem Erfassen der Probleme zu beheben“, unterstreicht Christine Ruis. „Es braucht den Bezug zur Natur im Fühlen und Denken.
Mit meiner Kunstfigur, der Landvermesserin Frau Melperts, möchte ich Menschen dazu verführen, draußen zu sein. Ich gebe ihnen die Chance, etwas zu verhandeln, was draußen auch sinnlich spürbar ist. Das würde auf einer Bühne nicht funktionieren.“ Ihr Resümee: „Das rationale Erfassen reicht nicht, ich muss es spüren. Und dazu möchte ich mit dem Theaterstück ein kleines bisschen beitragen.“

UNSER TIPP: Die nächsten Termine und Spielorte
finden sich auf www.schalkin.de

“Irgendwo … Frau Melperts vermisst die Welt”

Die Landvermesserin Anna Melperts erscheint mit ihrem Fahrrad samt Anhänger für ihre Arbeitsgeräte auf dem zugewiesenen Gelände. Ihr Auto hat sie schon lange abgeschafft. Sie kommt auch so von A nach B. Wie so oft hat sie einen behördlichen Auftrag, den sie korrekt ausführen wird. Auf ihre Daten kann man sich verlassen. Wer von ihren Auftraggebern weiß schon, dass sie die Welt nicht nur mit Nivelliergerät, Messlatte und Feldbuch akribisch vermisst, sondern auch mit ihren eigenen Sinnen, ihrem eigenwilligen Kopf. Anna Melperts sammelt nicht nur Daten, sie sammelt auch Pflanzen, Schneckenhäuser und Lyrik. Sie erzählt von Harpedonapten, von Triangulationsaugen, stellt die Kartografie auf den Kopf. Bald wird sie aufhören die Welt zu vermessen und anfangen sie immer stärker zu vermissen.

Ihre Motivation für das Theatersolo erklärt Christine Ruis so: „Wie Anna Melperts bin ich in der letzten Phase meines (Arbeits-)Lebens und kann entscheiden, was mir wichtig ist, für was ich meine Energien einsetzten möchte. Gespräche über die Notwendigkeit von gesellschaftlichem Wandel mit meinem Handwerkszeug ‚Schauspiel‘ anzuregen ist mein Anliegen. Die Figur Frau Melperts arbeitet gerne in der Natur, hat deswegen den Beruf der Vermesserin gewählt. Sie berichtet mit Begeisterung vom Vermessen und Katalogisieren, doch begreift mit der Zeit die Tragik ihrer Wahl: dass das, was sie liebt, dabei zu Grunde geht und dem menschlichen Streben nach Macht und Abgrenzung zum Opfer fällt. Die Zuschauer*innen begleiten Frau Melperts bei ihrem letzten Einsatz. Nach ihrem letzten Arbeitstag entscheidet sie sich für die Natur. Mit ihrem Ausstieg aus dem System, dem Paradoxon riskiert sie wenig Bedrohliches für sich, da es ihr letzter Arbeitstag ist. Sie, die quasi fast bis zuletzt „ausgebeutet“ hat, geht ab. Was sie hinterlässt, sind Erkenntnisse und Fragestellungen aus ihrem (Arbeits-)Leben, die sie dem Publikum anvertraut – Patentlösungen gibt es nicht – jede*r Einzelne ist gefragt.“