Was bedeutet Bildung in einer komplexen, digitalen Welt? Und wie lässt sich erreichen, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund faire Chancen haben, ihre Potenziale zu entfalten? „Bildung ist kein Zustand, sondern ein Prozess – und ein lebenslanger dazu“, sagt Prof.’in Dr. Anna-Maria Kamin, Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik im Kontext schulischer Inklusion an der Universität Bielefeld. „Sie entsteht in Interaktion und lebt von Anregung und Reflexion.“

In der Wissenschaft wird zwischen Verfügungswissen und Orientierungswissen unterschieden: Während Verfügungswissen grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen oder auch das Bedienen von Technologien meint, beschreibt Orientierungswissen die Fähigkeit, Erlerntes kritisch einzuordnen und im Alltag sinnvoll anzuwenden. „Bildung bedeutet also mehr als die reine Vermittlung von Wissen“, erklärt Anna-Maria Kamin. „Es geht darum, Denkprozesse anzustoßen, Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und Kinder zu befähigen, eigenständig Entscheidungen zu treffen.“ Dieser Prozess beginnt in
der Familie – dort, wo Kinder durch Gespräche, Vorbilder und gemeinsame Erfahrungen erste Orientierung gewinnen. „Wenn Eltern mit ihren Kindern über Alltagsregeln, Konflikte oder Medieninhalte sprechen, regen sie Bildungsprozesse an. Das gemeinsame
Spielen oder das Gespräch über Schule ist eine oft unterschätzte Ressource“, sagt sie. Ihr Fazit: In vielen Familien wird zu wenig miteinander gesprochen. Dabei entsteht genau dort Orientierungswissen – und damit die Fähigkeit, sich selbst und die Welt zu verstehen.

HERKUNFT ENTSCHEIDET ÜBER CHANCEN
Dass Chancen nach wie vor ungleich verteilt sind, ist der Professorin bewusst. Die Realität – auch in Form von Studien – zeigt: Nicht alle Kinder und Jugendlichen können ihre Potenziale gleichermaßen entfalten. Bildungschancen hängen eng mit den sozialen Lebenslagen zusammen. Familien, die unter ökonomischem oder sozialem Druck stehen, verfügen häufig über geringere – ökonomische und soziale – Ressourcen, um Bildungsprozesse aktiv zu unterstützen. „Diese Ungleichheiten sind intersektional miteinander verwoben“, betont sie.

„Kinder aus sozioökonomisch belasteten Lebenslagen stammen häufiger aus Familien mit Migrationsgeschichte und entwickeln zudem überproportional Lernschwierigkeiten.“ Die Corona-Pandemie hat bestehende Ungleichheiten verstärkt. „Distanzunterricht war zwar für alle Familien eine Herausforderung, aber Familien aus ohnehin belasteten Lebenslagen hatten es schwerer, damit umzugehen.
Einige Schüler*innen haben wir in dieser Zeit verloren“, stellt sie fest. Bildungsungleichheiten wurden eher verstärkt als abgebaut. Dennoch sieht Anna-Maria Kamin viele positive Beispiele, die zeigen, wie Förderung gelingen kann. Wenn gute Betreuungsmöglichkeiten bereits mit Beginn der frühen Bildung bestehen, helfen diese Unterstützungsmöglichkeiten
für das weitere Fortkommen, weil Bildungschancen eröffnet und wahrgenommen werden können. In Bielefeld sieht sie dafür zahlreiche Ansätze – von der Laborschule, wo Kinder sich ausprobieren und einbezogen werden, bis zu Projekten, die Jugendliche gezielt fördern.

DIGITALE MEDIEN ALS RISIKO UND RESSOURCE
Eine nicht defizitorientierte Perspektive auf Bildung, die auf Ressourcen und Stärken baut, nicht einsortiert und stigmatisiert, ist aus ihrer Sicht entscheidend für Motivation und Selbstwirksamkeit von Heranwachsenden. „Es geht nicht immer nur darum, Lücken zu benennen“, macht sie deutlich. „Es ist ein schmaler Grat, denn gleichwohl muss man Differenzen dort wahrnehmen, wo es notwendig ist, um chancengerecht zu fördern.“ Notwendig sind daher professionalisierte Fachkräfte entlang der gesamten Bildungskette – von der frühen Bildung bis zur Hochschule – sowie eine adäquate Infrastruktur, ausreichende Betreuungsangebote, digitale Ausstattung und Konzepte, die vulnerable Gruppen gezielt einbeziehen. „Formal gesehen ist ein Bildungsaufstieg an vielen Stellen möglich“, so Anna-Maria Kamin mit Blick auf das durchlässige Schulsystem. „Und wir haben auch eine sehr gute berufliche Bildung und Instanzen für lebenslanges Lernen, wo sich Bildungschancen eröffnen und die Bildungsaufstieg ermöglichen.“ Als Medienpädagogin betont Anna- Maria Kamin zudem die Bedeutung von Medienkompetenz und Medienbildung. „Digitale Medien sind längst Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, können Bildungsprozesse anstoßen aber auch Ungleichheiten verstärken“, sagt sie. Die systematische Verankerung von Medienbildung in der Schule ist ihr ein Anliegen. „Das Thema wird noch mehr zu einer Schlüsselkompetenz“, unterstreicht
sie. Schließlich geht es darum, Medien – einschließlich KI-basierten Inhalten – kritisch zu reflektieren und ethisch verantwortungsvoll in
dieser Hinsicht zu handeln. „Bildung“, resümiert sie, „ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, um mehr Chancengerechtigkeit zu erlangen – in und außerhalb der Schule.“

BÜHNE, SET UND SERIE
Chancen erkennen und ergreifen, heißt
immer auch, Entscheidungen zu treffen.
Omar El-Saeidi hat genau das getan. Der
Bielefelder Schauspieler wechselte von der Theaterbühne vor die Kamera und verantwortet mit der Culture-Clash-Comedy Habibi Baba Boom gemeinsam mit Sascha Vredenburg erstmals eine Serie als Schauspieler, Autor und Regisseur. Ein Schritt, der viel über seinen Weg – und über den Mut zur Veränderung – erzählt.

„Was mir meine Kinder geben, ist eine Superpower: ihre schonungslose Liebe.“ Es ist ein Satz, der viel über Omar El-Saeidi verrät – und über die Haltung, mit der er Entscheidungen trifft. Nähe, Verantwortung und der Blick auf das Wesentliche spielen für ihn heute eine größere Rolle als früher, auch im Beruf. Seit 2009 lebt er in Bielefeld, spielte hier viele Jahre fest am Theater, kehrt bis heute für Gastrollen auf die Bühne zurück – und startete von hier aus seine Fernsehkarriere. Der Spagat zwischen Bühne und Set war nicht immer leicht. Mit Habibi Baba Boom, bei Disney+ im Stream verfügbar, verbindet sich nun vieles: persönliche Themen, gesellschaftlicher Humor und ein klarer Bielefeld-Bezug.


CHANCEN ERKENNEN
Vor einigen Jahren gewann Omar El-Saeidi den Deutschen Comedypreis für „Das Institut – Oase des Scheiterns“. Habibi Baba Boom ist aktuell gleich in drei Kategorien – beste Serie, bester Hauptdarsteller, beste Hauptdarstellerin – für den Jupiter Award nominiert. Und zeigt, wie vielschichtig Humor sein kann – und wie sehr er davon lebt, Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Die Idee zur achtteiligen Serie über einen deutsch-ägyptischen Steuerberater aus Bielefeld entwickelte er gemeinsam mit Sascha Vredenburg, Headautor und Regisseur. Fünf Jahre Arbeit stecken in dem Projekt. „Es brauchte einen langen Atem“, sagt Omar El-Saeidi, der in einer großen Familie mit sechs Geschwistern aufwuchs. Die Puste ist ihm nicht ausgegangen. Als Sami, ein „Alman mit muslimischen Wurzeln“, schlingert er durch westliche und östliche Lebenswelten. „Wir spielen augenzwinkernd mit Stereotypen und Klischees“, sagt der 45-Jährige. Die Frage „Darf man eine Comedy über Muslime in Deutschland machen?“ beantwortet die Serie mit Humor, Selbstironie und Haltung. „Disney+ hat sich von unserer Idee, unserem Feuer anstecken lassen“, freut er sich. Chancen nicht nur zu erkennen, sondern sie auch konsequent zu verfolgen – das zieht sich durch seine Biografie. Ob Comedy, Krimi oder Satire – Omar El-Saeidi ist in vielen Genres zuhause. In SOKO Potsdam steht er zurzeit erneut als Ermittler David Grünbaum vor der Kamera. „Wir haben für die achte Staffel insgesamt zwölf Folgen abgedreht, die seit Ende letzten Jahres in der ZDF Mediathek und ab dem 5. Januar dieses Jahres im ZDF zu sehen ist. Staffel 9 steckt gerade in der Planung“, sagt er. Eigentlich hätten seine Eltern für ihn einen anderen Weg vorgesehen. „Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wäre ich Zahnarzt geworden“, sagt Omar El-Saeidi schmunzelnd. „Schauspieler zu werden, ist das absolute Gegenteil davon.“ Ganz
ohne Sicherheitsnetz ging er dennoch nicht los: Vor dem Schauspielstudium absolvierte er ein duales BWL-Studium und wäre fast Immobilienwirt geworden. „Aber ich bin dann doch lieber abgebogen.“ Erste Bühnenerfahrungen sammelte er in der Schul-Musicalgruppe. „Das war quasi mein Coming-out-Erlebnis. Der Zusammenhalt, die Anerkennung – einfach klasse.“ Und so wagte er nach dem BWL-Studium den Schritt an die Hochschule für Musik und Theater Rostock. Noch während seiner Schauspielausbildung eröffnete sich ihm 2007 eine besondere Chance: Am Schauspiel Köln arbeitete er unter der Regie von Karin Beier. Sie suchte Darstellende mit Migrationshintergrund, schaffte Hautfarbe und Herkunft als Besetzungskriterien ab. „Das war eine wichtige Erfahrung, dass sich Chancen dort eröffnen,

Klischeefrei im Sport

Mehr Vielfalt. Mehr Gerechtigkeit

1989 gewannen die DFB-Frauen die Fußball-Europameisterschaft gegen Norwegen – und erhielten als Prämie ein Kaffeeservice. Zum Vergleich: Als die Männer 1980 den EM-Titel holten, gab es kolportierte 30.000 DM pro Spieler. Zwar steigen die Prämien mittlerweile allmählich, doch besteht in vielen Sportarten weiterhin eine deutliche Lücke. In anderen Disziplinen ist diese eklatante Differenz zwar geringer, doch noch immer entscheidet das Geschlecht darüber, wer welchen Platz in der Vereins- oder Verbandsführung, in der Trainingshalle oder im Scheinwerferlicht bekommt.

„Ungleichheiten im Sport sind vielfältig – und sie treffen insbesondere Frauen sowie trans- und nicht-binäre Personen“, berichtet Juliana Groß vom Projekt „Klischeefrei im Sport“, das vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) gefördert wird. Weniger Trainingszeiten für Frauenteams, fehlende Forschung zu frauenspezifischem Training, einseitige mediale Berichterstattung und selbst die Kleidervorschriften erzählen Geschichten. Stichwort „Bikini-Pflicht“ beim Beachvolleyball. Eine Regelung, die nach jahrzehntelanger Sexismusdebatte gekippt wurde. „Athletinnen sollten die Wahl haben, was sie tragen“, betont Juliana Groß.

„Klischeefrei im Sport“ will die tief verankerten Geschlechterstereotypen aufbrechen und dafür sensibilisieren. „Wir alle haben Klischees im Kopf. Es geht darum, dass wir sie uns bewusst machen, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen“, sagt die sympathische Projektleiterin, die selbst begeisterte Läuferin und Radfahrerin ist. Das Ziel ist ein Sport, der allen offensteht. „Menschen sollten einfach den Sport machen können, der sie begeistert, ohne sich rechtfertigen zu müssen.“

Das fünfköpfige Projekt-Team setzt deshalb auf Aufklärung, Reflexion und konkrete Lernangebote. Neben Infoständen auf Sportveranstaltungen und Workshops ist das Herzstück ein modularer E-Learning-Kurs: die kostenfreie „E-Sporttasche“. „Hieran haben wir zwei Jahre gearbeitet und freuen uns sehr über die vielen positiven Rückmeldungen.“ Denn der modular aufgebaute Kurs vermittelt nicht „nur“ Wissen über u. a. Geschlechterklischees, historische Meilensteine der Gleichstellung im Sport, sondern Vereine und Verbände erhalten direkt anwendbare Werkzeuge – vom Leitfaden zur Bestandsaufnahme bis zu fertigen Präsentationen für eigene Workshops. Und die Beantwortung der Fragen macht auch noch Spaß.

Vorbilder gesucht

Ein Fokus wird auf die „klischeefreie Sportberichterstattung“ gerichtet. Steht bei der Berichterstattung die Leistung der Frau im Vordergrund? Welche Fotos werden ausgewählt? Manchmal werden bei Interviews oder Fernsehdrehs Rollenbilder unbewusst reproduziert. Abgesehen von sportlichen Großveranstaltungen sind Sportlerinnen in den Medien mit gerade mal 10 Prozent deutlich unterrepräsentiert. Aber es tut sich etwas: „Wenn wir beim Beispiel Fußball bleiben, so ist die Anzahl der Medienbeiträge über die Frauen-Bundesliga  seit der Saison 2020/21 sowohl im Free-TV als auch in den Online- und Printmedien deutlich gestiegen“, erklärt Juliana Groß.

Ganz generell ist Sichtbarkeit für Athletinnen essenziell, denn damit einher gehen Vermarktungsmöglichkeiten, Sponsorengelder, Ausrüstungsverträge und die Möglichkeit, professionelle Bedingungen für den eigenen Sport zu schaffen. Social Media bietet hierbei eine gute Chance, dass Sportlerinnen in den Vordergrund treten. Diese erfüllen eine wichtige Funktion, denn Frauen und Mädchen brauchen Vorbilder, als Sportlerinnen, Trainerinnen, Schiedsrichterinnen sowie als Funktionärinnen in Vereinen und Verbänden.

„Wenn der Sport gerechter wird, gewinnen alle – auch die Männer“, sagt Juliana Groß. „Studien zeigen: Diversere Teams treffen bessere Entscheidungen, Organisationen performen stärker, Ehrenamtliche bleiben länger. Geschlechtergerechtigkeit ist damit entscheidend für die Zukunft des Sports.“

Mehr Infos über das Projekt, Factsheets und die kostenfreie E-Sporttasche gibt es unter

www.klischeefrei-sport.de