Ihn kann man das berühmte Loch in den Bauch fragen. Er liefert pausenlos Antworten. Ohne Luft zu holen. Nicht immer sinnvoll, aber je präziser ein Prompt – also die Frage –, desto passgenauer die Auskunft. Seit dem Start im November 2022 ist ChatGPT in aller Munde. Wie sich generative KI wie ChatGPT auf das Lernen und Lehren auswirkt, ob und wie sich Prüfungen an Schulen und Hochschulen verändern oder wie sich möglicherweise Berufsfelder wandeln, erläutern Prof‘in. Dr. Michaela Hoke, Hochschule Bielefeld (HSBI), und Prof. Dr. Tim Brüggemann, Fachhochschule des Mittelstands (FHM).

5 Tage, 1 Million NutzerInnen. So lautete die Bilanz kurz nach dem Release von ChatGPT. Inzwischen kennt jeder Vierte in Deutschland (Stand Januar 2023) die Anwendung, die künstliche Intelligenz nutzt, um mit ihren AnwenderInnen zu kommunizieren. Und die Zahlen schießen weiter rasant in die Höhe. Anfang dieses Jahres zählte der Chatbot weltweit bereits 100 Millionen NutzerInnen. „ChatGPT hat für eine gewaltige Disruption gesorgt. Der verbreitete Zugang zu generativer KI ist so massiv wie nie zuvor. Das hat Einfluss auf unsere Gesellschaft, die Arbeitswelt und Bildungseinrichtungen gleichermaßen“, unterstreicht Tim Brüggemann, Prorektor Online-University, Fernstudium und Weiterbildung an der FHM. Das sieht auch Michaela Hoke, Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Hochschule Bielefeld (HSBI) so. „ChatGPT hat für Aufruhr in den Hochschulen gesorgt – auch bei uns. Häufig werden Parallelen gezogen zur Einführung des Taschenrechners. Auch damals kamen Befürchtungen auf ganz nach dem Motto ‚Jetzt lernt keiner mehr rechnen!‘ Es gab folglich immer wieder Tools, die die bisherigen revolutionierten. Doch nicht in dieser Schärfe. KI ist eine neue Dimension. Und wir sind nicht am Ende der Entwicklung.“

Dass sich Studierende wie Lehrende auf den Weg machen müssen, steht für Michaela Hoke und Tim Brüggemann außer Frage. Schließlich werden die Auswirkungen auf Studium, Lehre, Lernen und Prüfungsleistungen längst öffentlich diskutiert. „Wir bilden für den Arbeitsmarkt aus und müssen vorausschauend weiterdenken“, sagt Tim Brüggeman. Im Bereich Forschung & Entwicklung forscht die FHM seit letztem Jahr in zwei Europäischen Projekten zum Thema Chatbots (und ChatGPT) in der Lehre. Anfang des Jahres veranstaltete die FHM einen HDZTalk zum Thema ChatGPT & Co., um alle mitzunehmen. Der Innovationsdruck ist groß. „Wie bereite ich Studierende vor, dieses Tool sinnvoll zu nutzen?“ ist für beide Lehrenden vor diesem Hintergrund entscheidend.

Prof‘in. Dr. Michaela Hoke,
Hochschule Bielefeld (HSBI)

„Wir wollen einen verantwortungsbewussten und kritischen Umgang erreichen“, macht Michaela Hoke deutlich. Die FHM
ermuntert Lehrende wie Studierende, sich mit ChatGPT vertraut – und abhängig von der Fakultät – dieses Tool auch nutzbar zu machen. „Am Puls der Zeit zu sein, heißt ChatGPT zu integrieren und eine kritisch konstruktive Haltung zu entwickeln“, betont auch Tim Brüggemann. Schließlich sind Digital- und Medienkompetenz mehr denn je gefragt. Studierende der FHM haben bereits mit dem KI-getriebenen Chatbot erste Erfahrungen gesammelt und mit dessen Hilfe ein Drehbuch verfasst, ein Video gedreht und ihn als Diskussionspartner genutzt. Im Bereich E-Learning – das Fernstudium macht bei der FHM rund 50 Prozent aus – läuft wiederum ein Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Uni Mannheim (Learning Analytics). „Wir haben ChatGPT mit Inhalten eines Studiengangs gefüttert, um ihn als KI-Lerntutor zu nutzen“, erläutert Tim Brüggemann. Der Vorteil: Eine Gruppe von Studierende kann 24/7 auf das Tool zugreifen und interagieren. Die FHM evaluiert das Projekt bis Oktober 2023, um zu sehen, wie und ob ChatGPT unterstützend wirkt. „Wie Studierende lernen, wie sie prompten und welche Antworten sie bekommen, ist spannend zu sehen“, so Tim Brüggemann. Auch die HSBI, nutzt ChatGPT als Schreibwerkzeug und als Hilfsmittel zur Programmierung. Im Fachbereich Gestaltung werden KI-gestützte Bildgeneratoren als Tool eingesetzt.

Prof. Dr. Tim Brüggemann,
Fachhochschule des Mittelstands (FHM)

Ein Thema, das alle Bildungseinrichtungen betrifft, alle Lehrenden an Schulen wie Hochschulen sind Prüfungen. Klausuren weniger, aber umso mehr Hausarbeiten, Studienarbeiten sowie Bachelor- und Masterarbeiten, rücken durch ChatGPT in den Blick. „Eine erste Frage war, ob schriftliche Arbeiten künftig hinfällig und die Prüfungsformen grundsätzlich geändert werden müssten“, erklärt Michaela Hoke. Entschieden hat sich die HSBI jedoch für eine neu formulierte Eigenständigkeitserklärung der Studierenden. Sie gilt für Bachelor- und Masterarbeiten. „Den Punkt KI-Werkzeuge haben wir aufgenommen. Wir verfolgen nicht die Strategie des generellen Verbots. Nicht zuletzt, weil es sehr schwierig ist, sicher herauszufinden, dass KI-Werkzeuge bei schriftlichen Arbeiten eingesetzt wurden. Daher die Devise: Nutzt es, aber teilt es mit“, so Michaela Hoke, die nicht ausschließt, dass sich Prüfungen künftig verändern und vermehrt durch mündliche Prüfungsformen ergänzt werden. „Aber das ist ein laufender Prozess.“ ChatGPT für Arbeiten zu nutzen, gilt an der FHM bislang als unerlaubtes Hilfsmittel. Da Studierende der FHM schriftliche wie mündliche Prüfungen ablegen, lassen sich Leistungen aus Sicht von Tim Brüggemann jedoch einregulieren. Einig sind sich die HSBI und die FHM im aktiven Umgang mit dem
neuen KI-Tool. Sie wollen Studierende ermutigen, die KI sinnvoll im Schreibprozess zu integrieren. Nicht ohne den Blick auf Risiken auszublenden, die mit der Nutzung einhergehen. „Die für wissenschaftliche Arbeiten wichtige Quellenangaben sind bei der Verwendung von ChatGPT bisher häufig falsch“, weiß die Vizepräsidentin für Studium und Lehre.

Auch mit Blick auf die Arbeitswelt ist ChatGPT ein Treiber. Der generative Chatbot wird das Lernen, Prüfen, den Alltags und das Berufsleben verändern. „KI wird immer stärker ein fester Bestandteil unseres (Berufs-)alltags sein“, sagt Michaela Hoke. „Als Hochschule haben wir das im Blick, denn dafür bilden wir aus.“ Per se spielt die Digitalisierung in der Lehre eine große Rolle und beeinflusst alle Studiengänge. Intensiver mit KI als Lehrgebiet befassen sich an der HSBI zum Beispielen Informatikstudiengänge und der Masterstudiengang Data Science. „Vielleicht entwickeln sich neue Studiengänge und Berufsfelder. New Work heißt eben auch New Learning!“, fügt Tim Brüggemann hinzu.