Konsumverhalten auf dem Prüfstand

Führt man eine Befragung durch, werden wahrscheinlich die meisten Menschen antworten, dass ihnen Umwelt- und Klimaschutz am Herzen liegen. Geht es jedoch an das konkrete Handeln, zum Beispiel beim Einkauf im Supermarkt, landet nicht selten die klimaschädlichere Alternative im Einkaufswagen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz, das eine sagen, das andere tun?

Das Spezialgebiet von Prof. Dr. Gerrit Hirschfeld von der Hochschule Bielefeld (HSBI) sind Forschungsmethoden und Diagnostik. Der Psychologe weiß: „In der Sozialwissenschaft gibt es eine große Diskrepanz zwischen der Gültigkeit von Fragebögen und Beobachtungen. Das spiegelt die sogenannte Attitude-Behaviour-Gap wider – Menschen berichten das eine, tun aber eigentlich das andere. Deshalb ist es in der Forschung erforderlich, den Fokus von einfachen Fragen wie ‚Wie wichtig ist Ihnen Umweltschutz?‘ auf die Untersuchung der tatsächlichen Entscheidungen von Personen zu verlagern: Wann sind Menschen bereit, mehr Geld für umweltschonende Produkte auszugeben?

GUT BEOBACHTET

Gerrit Hirschfeld hat im Labor, das mit seinem Einwegspiegel eher an einen polizeilichen Verhörraum erinnert, schon verschiedene Studien durchgeführt. Auch Bewerbungsgespräche oder Tests für Führungskräfte kann das Team hier auf den Prüfstand stellen: Die Forschenden beobachten, wie die Teilnehmer in bestimmten Gesprächssituationen agieren, reagieren und wirken. Für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wurde beispielsweise untersucht, wie sich das Stresslevel von Menschen erhöht, wenn Webseiten künstlich verlangsamt wurden. Dabei zeigt sich, dass schon wenige hundert Millisekunden Verzögerung ausreichen, um physiologisch messbaren Stress auszulösen und die Bewertung der Webseiteninhalte insgesamt stark zu verschlechtern. Und sein Kollege Prof. Dr. Manuel Stegemann hat im Labor mit Studierenden der HSBI die Werbewirkung von aufmerksamkeitsstarken Triggern wie Humor oder Erotik untersucht. Das Fazit des Psychologen mit dem Studienschwerpunkt Markt- und Werbepsychologie: Starke Trigger fördern nur dann die Werbewirkung, wenn Reiz und Produkt sinnvoll in Verbindung miteinander stehen. Wenn der Bezug hingegen fehlt, kann es sogar zum sogenannten Vampir-Effekt kommen: Dann zieht der Reiz so viel Aufmerksamkeit, dass die Werbung nicht wirkt, die Marke nicht in Erinnerung bleibt und das Produkt am Ende auch nicht gekauft wird.

Die Wirtschaftspsychologie-Experten möchten aber mehr untersuchen als nur das Konsumverhalten: „Wir wollen wissen: Wie können wir Menschen dazu bringen, sich für nachhaltige Lösungen zu entscheiden? Wie können wir Marketing so gestalten, dass Kundinnen und Kunden das Bioprodukt kaufen? Das Rad nehmen?“ Helfen könnte dabei eine mit Kameras, Mikrofon und Sensoren ausgestattete Brille. Mit dem Eyetracker können die Forschenden ablesen, was die Blicke der Menschen anzieht und was das Auge verweilen lässt.

NACHHALTIGE VERHALTENSFORSCHUNG

Aktuell unterstützt das Labor u. a. InCamS@ BI, den Innovation Campus for Sustainable Solutions. In dem fächerübergreifenden Projekt werden Ideen und Lösungen entwickelt, um Kunststoffe und deren Handhabung für eine Kreislaufwirtschaft zu optimieren. Nachhaltigkeit ist das Herzensthema der Doktorandin Eliza Starke. Sie ist seit diesem Jahr Teil des Projekts InCamS@BI an der HSBI. Ihr Job als Referentin für Wirtschaftspsychologie: Usability-Tests durchführen, Fokusgruppen begleiten, Einstellungen von KonsumentInnen untersuchen, Prozesse begleiten – kurz gesagt: Verhaltensforschung. „InCamS@BI ist ein sehr interdisziplinäres Projekt, in dem es um Kunststoffe und zirkuläre Wertschöpfung geht. Meine Kolleginnen und Kollegen bringen beispielsweise die technische und rechtliche Perspektive ein. Das kann ich gut ergänzen, denn ich untersuche und kenne die Sicht der Anwenderinnen und Anwender. Die Anwendersicht auf innovative Kunststoffe oder Kunststoffprodukte sollte nicht erst am Ende berücksichtigt werden, sondern von Beginn an. Ist der Kunststoff, ist das Produkt überhaupt anwenderfreundlich? Leicht zu bedienen? Zu verstehen? Nützlich?“, stellt Eliza Starke die entscheidenden Fragen. Und sie will dabei helfen, Antworten darauf zu finden. Hierfür ist noch Zeit. Das Projekt InCamS@ BI wird noch bis Ende 2027 gefördert. ✔