Von Glück, Stress und Sucht

Man sieht sie nicht und dennoch haben sie großen Einfluss auf unser Leben und Wohlbefinden. In bestimmten Situationen spüren wir unsere Hormone ganz deutlich. Wenn wir verliebt sind, kommen u. a. Dopamin, Serotonin, Adrenalin und Oxytocin ins Spiel. Unser Herz klopft schneller und wir haben das Gefühl, als könnten wir die Nächte durchtanzen.

Wir haben mit Ali Yasin, Oberarzt in der Bielefelder Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie über die Wirkung und Funktion von Glückshormonen gesprochen.

Herr Yasin, ist aus medizinischer Sicht der Begriff „Glückshormone“ zutreffend?
Ali Yasin (lacht): Das Thema ist sehr komplex. Glück ist etwas sehr Individuelles. Das kann ein schönes Buch, ein Treffen mit Freunden oder ein gutes Essen sein, das uns ein Glücksgefühl beschert. Die sogenannten Glückshormone spielen bei unseren Empfindungen eine Rolle, aber sie bewirken das Glücksgefühl nicht ursächlich. Durch die Erwartung eines positiven Erlebnisses wird im Gehirn, in unserem Belohnungssystem, der Botenstoff Dopamin freigesetzt, der für ein Wohlgefühl sorgt und unsere Motivation zum Handeln erhöht.

Demnach entsteht das Glück eher im Kopf und nicht im Bauch?
Die Glückshormone gehen durch den gesamten Organismus. Auch die als Stresshormone bekannten Hormone Adrenalin und Noradrenalin sind daran beteiligt.
Entwicklungsgeschichtlich gab es in Gefahrensituationen zwei Optionen: Flucht oder Angriff. Adrenalin wird ausgeschüttet, der Puls beschleunigt sich, der Blutdruck ist erhöht, damit über das Gefäßsystem Organe wie Gehirn und Muskeln besser mit Blut versorgt werden. Die Pupillen weiten sich. Das Hormon verursacht auch ein Kribbeln im Bauch, so wie es beim Verliebtsein häufig empfunden wird. Der Anstieg der Stresshormone im Gehirn kann dazu führen, dass der Verstand ausgeblendet wird. Der verliebte Mensch hat nur noch Augen für sein Gegenüber. Dagegen kann man nichts tun. Dennoch sollte das Verliebtsein nicht auf einen rein chemischen Prozess reduziert werden.
Dazu gehört noch ein bisschen mehr.

Dann ist Verliebtsein also eigentlich Stress für den Körper?
Ja, das ist ein positiver Stress. Es setzt aber ein Gewöhnungseffekt ein.
Um das überschäumende Glücksgefühl dauerhaft zu erhalten, bräuchte es eine immer höhere Reizintensität. Das wäre aber nicht gesund. Bei Suchterkrankungen kommt es beispielsweise zu einer Steigerung der Dopamin-Ausschüttung, weil bestimmte Drogen direkt im Gehirn ansetzen. Auch Erfolgserlebnisse bei der Arbeit, bei Computer- oder Glücksspielen können das Belohnungssystem aktivieren und Dopamin freisetzen. Endorphine werden bei physischer Anstrengung, wie Jogging oder intensivem Training, ausgeschüttet. Diese Botenstoffe sind auch körpereigene Schmerzmittel. Sie werden in Notfallsituationen gebildet, um bei einer Verletzung zunächst einmal keine Schmerzen zu spüren. Auch beim Sport werden sie ausgeschüttet. Man fühlt sich nach dem Training oder Wettkampf glücklich. Durch die Endorphine können Leistungssportler Höchstleistungen vollbringen. Das ist quasi körpereigenes Doping. Im Sinne der Gesundheit ist es wichtig, seine Grenzen zu kennen.

Können „Glückshormone“ angeregt werden?
Für sein eigenes Glück kann man wirklich etwas tun. Serotonin gilt als „Wohlfühlhormon“. Es sorgt für Zufriedenheit, für eine gute Stimmung. Die Lichtintensität steigert den Serotoninspiegel. Daher kommen auch die sprichwörtlichen Frühlingsgefühle. Die Menschen bekommen mehr Sonne zu Gesicht und das steigert das Wohlbefinden. Wie auch Sport und eine ausgewogene Ernährung. Bewegung an der frischen Luft hat einen positiven Einfluss auf den Serotoninspiegel.
Aminosäuren sind Vorstufen der Botenstoffe. Deshalb ist es wichtig über die Nahrung ausreichend essentielle Aminosäuren aufzunehmen. Sie sind in proteinreichen Lebensmitteln, wie Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen, Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten, aber auch in Getreide und grünem Gemüse wie Brokkoli und Spinat enthalten.

Was fasziniert Sie als Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie an Hormonen?
Ich finde es spannend, wie das Nerven- und das Hormonsystem miteinander kommunizieren, um lebenswichtige Körperfunktionen aufrechtzuerhalten und zu steuern. Entwicklungsgeschichtlich war zum Beispiel die Nahrungssuche eine unbewusste Funktion. Oder die Steuerung des Energiehaushaltes. Produziert beispielsweise die Schilddrüse zu wenig Hormone, fühlen wir uns müde und schlapp. Das kann bis zu einer Depression gehen. Auch ein Mangel an den sogenannten Glückshormonen kann in einer klinisch relevanten Depression münden, die medikamentös behandelt werden kann. Darum kümmern sich Neurologen und Psychiater.

Was können Alarmsignale sein, dass der Hormonhaushalt im Ungleichgewicht ist?
Jeder Mensch kennt Hoch- und Tiefphasen. Trauer und Freude gehören zum Leben. Wenn man feststellt, dass man nicht mehr trauert oder weint, obwohl man das mal konnte, kann das ein Warnsignal sein. Dasselbe ist es mit dem Empfinden von Freude. Einer depressiven Verstimmung kann man häufig auch gut ohne einer medikamentösen Behandlung beikommen. Wer aktiv ist, sich viel an der frischen Luft bewegt, kommunikativ ist, soziale Kontakte pflegt, hat gute Chancen auf Zufriedenheit und Glück.