Ausnahmslos jeder Mensch hat eine. Sie prägt uns ein Leben lang. Und selbst wer keine eigenen Kinder hat, ist als Kind seiner Eltern Teil von ihr. Als kleinste soziale Einheit der Gesellschaft gibt die Familie Halt, ist aber auch ein Ort für Konflikte und Gewalt.

Vater, Mutter, Kind(er). Schon als das bürgerliche Familienideal im Zuge der Aufklärung entstand, sah die Realität deutlich vielfältiger aus. Wie sich unser Familienbild entwickelt und verändert hat, aber auch wie Familie heute in Bielefeld ganz konkret gelebt wird, untersucht die Ausstellung „Familiensache“ im Historischen Museum Bielefeld. „Über die Historisierung möchten wir aktuelle Themen in den Blickpunkt rücken“, erklärt Dr. Christian Möller. Dem stellvertretenden Museumleiter gefällt das Thema nicht zuletzt deshalb so gut, weil viele im Team selbst Kinder haben. „In irgendeiner Form ist jeder betroffen und hat etwas beizutragen“, findet auch Clara Held, die als wissenschaftliche Volontärin an der Ausstellung mitwirkt. Im Mittelpunkt sollen Themen wie Liebe und Gewalt, Kindheit und Alter, Broterwerb und Kümmern, Rituale und Geschlechterrollen stehen, außerdem die Einflüsse von Politik, Krieg, Religion und Migration auf Familie.

Mit der „Familiensache“ geht das Historische Museum einer vergleichsweise jungen „Erfindung“ auf den Grund, „Als Begriff ist ‚Familie‘ während der Aufklärung im deutschen Sprachraum aufgekommen. Vorher hat man von Gesinde und Hausgemeinschaft gesprochen. Mit dem Aufstieg des Bürgertums wird die Familie zum Ideal, sie wird überhöht“, so Christian Möller. „Aber Familien funktionierten nie so, wie das Ideal aussah“, ergänzt Clara Held. Seit 2005 definiert das Statistische Bundesamt Familie als Eltern-Kind-Gemeinschaften. „Das ist spannend, weil das nicht mehr nur die Kernfamilie beinhaltet“, unterstreicht Christian Möller.

Gründe für den Widerspruch zwischen Ideal und Realität gibt es viele, denn politische und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen das Familienleben. So bedeutet etwa die Industrialisierung das Ende des Heimgewerbes in der Leinenproduktion.

Clara Held & Dr. Christian Möller

Die Bielefelder Arbeiterfamilien ziehen näher an die Fabriken und vermieten als Einnahmequelle Betten an sogenannte Schlafgänger. Neue Konstellationen des Zusammenlebens entstehen. Auch die Weltkriege führen zu einem Wandel. So idealisieren die Nationalsozialisten das Bild der Mutter und zeichnen kinderreiche Frauen mit dem Mutterkreuz aus. „Gleichzeitig sind die Männer im Krieg und die Frauen übernehmen deren Rollen“, sagt Clara Held. Nach 1945 kommen viele weitere Brüche hinzu. Sowohl die Vertriebenen als auch später die GastarbeiterInnen verändern die Stadtgesellschaft – und das wiederum verändert die Familie. „Speziell in den 70ern werden neue Familienformen ausprobiert, etwa gleichgeschlechtliche Beziehungen oder WGs“, so Christian Möller. Dabei offenbart der Blick in die Vergangenheit manchmal Überraschendes. „Spannend ist, dass die Patchworkfamilie gar nicht so neu ist, wie wir heute denken“, so der Ausstellungsmacher. Wegen der höheren Sterblichkeit war es Alltag, ein zweites Mal zu heiraten. Und kinderlose Familien nahmen oft Kinder aus kinderreichen Familien an. „Eine moderne Entwicklung ist dagegen die Zunahme der Einpersonenhaushalte. Deshalb wird es neben Familie auch um das Thema Einsamkeit gehen.“

Gegliedert wird die Ausstellung in die Themeninseln „Formen und Normen“, „Arbeit“, „Erziehung und Ausbildung“, „Gesundheit“, „Freizeit, Feste, Feiern“ sowie „Gewalt und Krisen“. Objekte, Fotos, Filme, Zeitzeugeninterviews, Multimediastationen und Vermittlungsinseln, die besonders Kinder ansprechen, sollen die Geschichte der Familie in Bielefeld beleuchten. Wichtig ist Christian Möller, dass die Ausstellung gemeinsam mit vielen Partnern aus der Stadtgesellschaft entsteht. Auch die Erfahrungen der Besuchenden sind gefragt und werden einbezogen. „Wir nehmen eine kleine Bestandsaufnahme vor und laden die Stadtöffentlichkeit ein, mit uns zusammen auch über die Zukunft dieser besonderen Gesellschaftseinheit zu diskutieren“, resümiert Christian Möller.

Die Ausstellung läuft ab Dezember im Historischen Museum. Nähere Infos auf www.historisches-museum-bielefeld.de