MENSCHEN MEHR ZUTRAUEN

Gehilfin im Gastgewerbe – mit dieser Ausbildung stünde Özlem Ekinici die Welt offen. Gelernte Arbeitskräfte sucht die Gastronomie gerade händeringend. Doch woanders als in der neuen Schmiede zu arbeiten, kann sich die gebürtige Bielefelderin nicht vorstellen. „Das ist hier wie ein zweites Zuhause für mich”, sagt sie lachend. „Wir sind wie eine Familie.”

„Irgendwie anders normal“: So beschreibt sich die Neue Schmiede auf ihrer Homepage. Und das ist vermutlich einer der Gründe, warum die 36-Jährige so gerne in dem Inklusionsbetrieb arbeitet. Ihr gefällt die selbstverständlich gelebte Vielfalt – unter den Mitarbeitenden ebenso wie bei den Gästen. Barrierefrei – das gilt hier eben nicht nur für den Zugang für Menschen im Rollstuhl, sondern auch für das Denken.

„Aktuell haben wir 14 Inklusionsarbeitsplätze auf 29 Vollzeitstellen“, sagt Christian Schütte. „Als Inklusionsbetrieb müssen wir eine Quote von 40 Prozent erfüllen.“ Nur eine von zahlreichen gesetzlichen Vorgaben. „Dazu zählt etwa auch das regelmäßige Gesprächsangebot mit unserer Sozialpädagogin. Das gibt Halt und ist wichtig für die Stabilisation, falls doch einmal Probleme auftauchen“, so der Bereichsleiter der Neuen Schmiede. Gefördert werden die Inklusionsarbeitsplätze übrigens durch die Aktion Mensch und den LWL. Seit 2008 hat Özlem Ekinici einen davon – mit einem festen Vertrag und nach Tarif bezahlt. Zuvor hat sie ein vierwöchiges Praktikum absolviert, konnte sowohl in die Küche als auch in den Service reinschnuppern. „Wir versuchen aus den Werkstätten heraus Arbeitsplätze für den ersten Arbeitsmarkt zu entwickeln“, erklärt Christian Schütte. „Bei dem Praktikum können wir schauen, ob es für beide Seiten passt. Falls ja, versuchen wir in maximal einem Jahr die Mitarbeitenden so zu qualifizieren, dass wir sie auf einem Inklusionsarbeitsplatz einstellen können.“

Bei Özlem Ekinici hat es gepasst. Sie hat sich für den Service-Bereich entschieden, weil sie gerne unter Menschen ist. Ihre Ausbildung hat sie erfolgreich abgeschlossen, inzwischen ist sie sogar Schichtleiterin. Sie übernimmt also nicht nur alle im Service anfallenden Arbeiten vom Aufnehmen der Bestellung bis zur Abrechnung, sondern verteilt die Aufgaben und ist Ansprechpartnerin für die Kolleg*innen. Auch die studentischen Aushilfskräfte stehen in der Hierarchie unter ihr. Für beide Seiten eine ungewohnte Erfahrung.

Für Christian Schütte ist jedenfalls klar, dass Özlem Ekinici das mitbringt, was in ihrem Beruf gefragt ist: „Die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen und Stressresistenz.“ Natürlich bietet ein Inklusionsbetrieb die Chance, stärker auf die Fähigkeiten der Mitarbeitenden einzugehen und zu schauen, wer mit Hektik gut klarkommt. „Wir haben den Vorteil, beim Dienstplan Rücksicht darauf nehmen zu können, wer sich was und wieviel zutraut. Und das ganze Haus ist darauf ausgelegt, Inklusion zu leben“, so der Bereichsleiter. Andererseits betont er: „Ich glaube, Menschen mit Behinderung muss man mehr zutrauen. An der Rezeption im Lindenhof sitzt zum Beispiel ein Mitarbeiter, der fast blind ist. Das funktioniert sehr gut, er checkt am Computer die Gäste ein. Oft fehlt das Zutrauen in die Fähigkeiten der Person.

Letztlich muss es auch in einem Inklusionsbetrieb rundlaufen. Am größten ist die Herausforderung in der Neuen Schmiede immer dann, wenn nach einer Veranstaltung alle Gäste auf einmal ins Restaurant strömen. „Dann kommen auch schon mal Beschwerden, weil es angeblich nicht schnell genug geht“, so Özlem Ekinici. Zwar ist der Gast für sie König, aber falls erforderlich, kann sich die freundliche Mitarbeiterin auch durchsetzen und klare Grenzen ziehen. Das ist zum Glück nur selten nötig. „Viele Gäste geben uns eine positive Rückmeldung. Sie sagen, dass wir stolz auf das sein können, was wir hier leisten.“ ✔

NÜTZLICHE ADRESSEN
Bielefelder Aktionsbündnis Inklusion
www.bielefeld.de/babi
Integrationsfachdienst proWerk Bethel
www.prowerk-bethel.de
Keimzeit e.V.
www.agbi-bielefeld.de/mitglieder/keimzeit
LWL-Inklusionsamt Arbeit
www.lwl-inklusionsamt-arbeit.de

Allein der LWL …

fördert in Bielefeld 13 Inklusionsbetriebe in verschiedensten Bereichen. Die Branchenvielfalt ist groß. Sie reicht von der Gebäudereinigung über den Museumsaufsichtsdienst bis zum Gartenbau. Ziel der Inklusionsbetriebe ist es, Menschen mit Handicap in den Arbeitsmarkt zu integrieren und sich gleichzeitig mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt zu behaupten. Die Integration schwerbehinderter Menschen umfasst neben ihrer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und adäquaten Bezahlung die arbeitsbegleitende Betreuung und berufliche Weiterbildung.