Ein Platz für alle

Wir holen uns den Kesselbrink zurück. Wir bestimmen mit, was auf diesem Platz passiert.“ Das meint Carsten Münch, Vorstand des Vereins Keimzeit, der das Bistro im Grünen Würfel betreibt, ausdrücklich als Einladung an alle. Er wünscht sich kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. „Ohne Ausgrenzung, mit allen Menschen, die hier leben“, so der Bielefelder.

Die 2019 von der Stadt Bielefeld initiierte Idee, den Grünen Würfel als Mitmachund Begegnungszentrum mit Leben zu füllen, sieht er als gute Chance, um das Image des Kesselbrinks aufzupolieren. „Allerdings spiegelt das negative Image nicht die Realität wider“, betont Carsten Münch. „90 Prozent des Tages funktioniert der Platz gut.“ Und eigentlich ist es schon erstaunlich, wie viele verschiedene „Szenen“ von Familien bis hin zur Skatern und Calisthenics-Fans hier überwiegend friedlich koexistieren. „Klar ist es ein merkwürdiges Bild, wenn im Sommer die Kinder an den Wasserfontänen toben, während sich fünf Meter weiter die Alkoholiker-Szene trifft. Aber es funktioniert.“ Dass viele Bielefelder*innen vor allem die Drogenszene stört, ist ihm bewusst.

„Die ließe sich vermutlich vertreiben, aber dann verlagert sie sich eben woanders hin.“ Also nur eine Problemverschiebung. „Es reicht nicht zu sagen, was nicht funktioniert, man muss Lösungen anbieten.“ Das können Kleinigkeiten wie schattenspendende Sonnensegel für heiße Sommertage, aber auch eine regelmäßigere Reinigung sein. „Wir persönlich versuchen viel zu kommunizieren, mit allen Gruppen ins Gespräch zu kommen.“ Überhaupt plädiert Carsten Münch für mehr Gelassenheit und Toleranz. „Natürlich liegt hier Samstagmorgen viel Müll auf der Terrasse, den wir erstmal wegräumen müssen. Aber wir leben nun mal in einer Großstadt.“ Sein Wunsch: den Platz differenzierter wahr- und dabei auch das Positive in den Blick zu nehmen. „Das Tolle, was hier passiert, ist viel zu wenig im Bewusstsein der Menschen.“ Nicht Gruppen vertreiben, sondern mehr Menschen hierherlocken, das Potenzial des Platzes ausschöpfen, das ist sein Weg. „Die Chancen begreifen, die der Kesselbrink mitten in der Großstadt bedeutet, und ihn mit Leben füllen.“ Genau das geschieht im Grünen Würfel, wo sich immer mehr Gruppen treffen. Aber auch durch das breite (Kultur-)Angebot von der Auftakt-Konzertreihe über Weltnachtkonzerte bis hin zu Kessel-Kick und Spielmobil. „Die Message ist“, resümiert Carsten Münch, „wir tun was für eine friedliche Koexistenz.

KEIMZEIT

Das Projekt entstand Ende der 90er Jahre aus dem Selbsthilfebereich. Eltern wollten die beruflichen Teilhabemöglichkeiten ihrer Kinder mit Behinderungen erweitern. Sie starteten verschiedene Pilotprojekte, um inklusive Beschäftigungsmöglichkeiten mitten im Leben zu schaffen. Mit diesem Ziel gründete Keimzeit im Laufe der Jahre etliche kleine Betriebe. Derzeit betreibt die Keimzeit GmbH u. a. das Bistro in der Ravensberger Spinnerei, die Bäckerei Ährensache sowie seit September 2020 das Bistro im Grünen Würfel. „Als die Anfrage der Stadt kam, habe ich lange überlegt, ob es sinnvoll ist, auf den Kesselbrink zu gehen“, erinnert sich Carsten Münch. „Aber es war trotz des wegen Corona schwierigen Starts eine gute Entscheidung. Alle Mitarbeiterinnen sind einen halben Kopf größer und selbstbewusster geworden. Mein Job ist es, das Ganze zu begleiten und die Mitarbeiterinnen zum selbstständigen Arbeiten hinführen. Das alles zu dirigieren, fühlt sich manchmal an wie ein Orchesterchef“, lacht Carsten Münch. Neben dem Mittagstisch – jeweils ein Gericht mit Fisch/Fleisch, eins vegetarisch – locken Kaffee und Kuchen. Für den gelernten Erzieher, der lange in der Gastronomie (u. a. Magnus) und der Kulturszene unterwegs war, ist das Projekt eine echte Herzensangelegenheit. „Seit 20 Jahren arbeite ich bei Keimzeit pädagogisch, treffe dabei aber auch wirtschaftliche Entscheidungen, das ist genau mein Ding.“

Der Grüne Würfel
Das 2014 errichtete, mit Efeu berankte Gebäude ist ein Hingucker auf dem Kesselbrink – aber auch ein „Problemfall“. Nach dem Scheitern zweier Gastronomieprojekte mietete die Stadt Bielefeld den Grünen Würfel im Herbst 2019 an und schlug vor, dort ein soziales und kulturelles Angebot zu etablieren. Das Besondere daran: Es wurde kein festes Konzept vorgegeben. Seitdem entwickelt sich das innovative „Mitmach Begegnungszentrum“ für Kinder, Jugendliche und Erwachsene immer weiter. In den Räumlichkeiten treffen sich verschiedenste Gruppen, Vereine und Organisationen von der Krabbelgruppe bis zu Fridays for Future, um gemeinsam ein offenes, buntes Haus im Herzen Bielefelds zu etablieren. Die Dachterrasse wird u. a. von Kindergärten als Dachgarten mit selbst angelegten Hochbeeten genutzt. Die Stadt Bielefeld stellt interessierten Akteur*innen die Räumlichkeiten im Grünen Würfel kostenfrei zur Verfügung. Das Pilotprojekt des Amtes für Sozialplanung wird voraussichtlich (bei Redaktionsschluss stand die Entscheidung noch nicht fest) zunächst um zwei Jahre verlängert.
www.gruenerwuerfel.de