Einfach mal die Perspektive wechseln und Bielefeld nachts erleben.

Ein Klassiker für alle Nachtaktiven: die Nachtansichten. Aber es gibt bei Nacht noch viel mehr zu entdecken. Drinnen wie draußen. Freitagnacht im Theater oder bei Vollmond im Wald – die Dunkelheit ist ganz schön bunt.

Foto: Frederick Tanton

Nachts im Ostblock

KULTURHAUS BIELEFELD

Blühende Landschaften – die wurden der ehemaligen DDR einst versprochen. Im Ostblock – Kulturhaus Bielefeld im ehemaligen FH-Gebäude an der Werner-Bock-Straße sind sie Wirklichkeit geworden. Hier gedeiht eine lebendige kreative Szene, die den Bielefelder Osten enorm aufwertet. Vor einem Jahr hat das Kulturhaus Bielefeld e.V. im Rahmen der Nachtansichten erstmals die Türen eröffnet. Auch dieses Mal ist es bei dem größten Kultur-Event in OWL selbstverständlich dabei.

Heide Fernandes da Silva, Marlena Dorniak, Vera Rietzsch

Nachtschwärmer, die möglichst viel an einem Ort entdecken möchten, sind im Ostblock genau richtig. „Unser Programm ist es, unsere Vielfalt zu zeigen“, sagt Marlena Dorniak. „Vieles ist gerade noch in Planung, aber es wird Musik und Tanz geben und wir bespielen das ganze Haus.“ [Und da die Nachtansichten aufgrund der Corona-Pandemie auf den 15. August verschoben werden, bleibt dem Team jetzt noch viel mehr Zeit …]

Die bildende Künstlerin ist im Vorstand des Kulturhauses aktiv und gehört gemeinsam mit Tänzerin Vera Rietzsch und Fotografin Heide Fernandes da Silva zum Organisationsteam der Nachtansichten. „Hier im Haus sind 40 Ateliers und Werkstätten, ein Großteil wird geöffnet sein“, so die Künstlerin. So können die BesucherInnen ganz konkret erleben, wie viel sich seit dem letzten Jahr entwickelt hat. „Es ist aufregend, was alles passiert ist und in Bewegung gesetzt wurde“, freut sich Heide Fernandes da Silva.

Die Initiative hat mit dem Kulturhaus aber nicht nur einen einzigartigen Raum für Kunst und Kultur geschaffen, sondern beflügelt auch den Austausch der kreativen und subkulturellen Szene der Stadt. „Etwa 130 Aktive sind hier im Haus“, so Vera Rietzsch. „Viele haben eh schon Kontakte und bringen die mit, so vervielfältigt sich das Netzwerk und das Kulturhaus ist der Knotenpunkt, wo vieles zusammenläuft. Und natürlich schöpfen wir aus dem großen Pool, der in einer Kultur- und Studentenstadt wie Bielefeld ohnehin vorhanden war. Das Kulturhaus wurde im Prinzip seit 30 Jahren vorbereitet“, lacht die Tänzerin.

Marlena Dorniak ergänzt: „Es entstehen interessante Kooperationen. Wir kommen auf andere Ideen, seit wir wissen, welchen Reichtum an Menschen es hier gibt.“ Eine ungewöhnliche Aktion ist zum Beispiel „Bielefeld for Future“. Das Gewinnerprojekt bei „Deine Fan-Aktion für Bielefeld“ hat Ende Februar eine Müllsammelaktion gestartet, bei der aus Abfall Kunst wurde.

Auch für die Zukunft gibt es zahlreiche Pläne. Einige hängen davon ab, wie lange der Verein das ehemalige FH-Gebäude nutzen kann. „Wir wünschen uns sehr, dass es langfristig ist“, betont Marlena Dorniak. „Die ganze Energie und persönliche Ressourcen, die wir hier reinstecken, müssen sich lohnen.“ Der Bedarf ist jedenfalls groß. Es gibt lange Wartelisten und viele Kreative teilen sich Räume. „Wir könnten uns auch vorstellen, dass hier eine größere kreative Ecke mit günstigem Wohnraum entsteht, das wäre eine Utopie.“

Ganz konkret gestaltet gerade eine Arbeitsgruppe die Küche um. „Das soll ein Begegnungsraum werden, um Ideen auszutauschen“, so Heide Fernandes da Silva. Ein Kaffeekollektiv, das auch Nachbarschaft ansprechen soll, ist ebenso angedacht wie gemeinsames Kochen. Aber auch regelmäßige Workshops, kleine Konzerte und Performances sollen die BesucherInnen in den Ostblock locken. „Wichtig ist uns ein niedrigschwelliger Zugang“, resümiert Marlena Dorniak. „Die Einladung zum Mitgestalten und Kreativwerden prägt das ganze Haus.“

www.kulturhaus-ostblock.de

Festival für Licht und Kunst

Nachtschwärmer aufgepasst: Mehr als 50 Kulturorte haben sich am 25. April für die 19. Auflage des großen Kultur-Events in der Bielefelder Innenstadt angemeldet. Aufgrund des Coronavirus wurden die Nachtansichten auf den 15. August verschoben. Mit dabei sind die großen Museen wie die Kunsthalle Bielefeld und das Kunstforum Hermann Stenner, unzählige Ateliers und Galerien und viele Kirchen. Auch traditionelle Nachtansichten-Publikumsmagnete machen wieder mit, etwa die Dr. Oetker Welt, das TAM und die Altstädter Nicolaikirche. Die teilnehmenden Kulturorte bereiten für den Abend ein besonderes Programm vor – von Ausstellungen über Live-Musik bis Lesungen. Dazu locken an mehreren Orten in der Innenstadt große Licht-Installationen.

www.nachtansichten.de

Foto: Bielefeld Marketing / Sarah Jonek

Ein paar nackte Fakten gefällig?

Neben Lerchen und Eulen gibt es noch weitere Chronotypen, die meisten Menschen bewegen sich aber im Mittelfeld.

Menschen in westlichen Ländern schlafen heute im Durchschnitt eine Stunde weniger als noch vor 20 Jahren.

Die Verschmutzung des Nachthimmels mit künstlichem Licht nimmt seit einigen Jahrzehnten dramatisch zu.

Late-Night-Reihe

FREITAG NACHT

23 Uhr. Wenn andere Theaterabende enden, geht die Late-Night-Reihe „Freitagnacht“ im TAM erst an den Start. Thomas Wolff war schon bei vielen Inszenierungen dabei. „Rund 25 dürfte ich selbst verantwortet haben“, schätzt der sympathische Schauspieler mit Blick auf das Format, dem kaum Grenzen gesetzt sind.

Rondo von Alan Ayckbourn am Theater Bielefeld. Darsteller von links: Thomas Wolff, Isabell Giebeler.

„Die Uhrzeit ist der Tatsache geschuldet, dass die Freitagnacht das laufende Programm nicht stören soll“, erklärt Thomas Wolff. Und so zieht es ihn regelmäßig zu später Stunde vom Stadttheater rüber zum TAM. Und schlüpft, für die zweite Runde des Abends, noch einmal in eine andere Rolle. Das was auf die Bühne kommt, bestimmen die Akteure der Freitagnacht selbst. „Das ist die Idee hinter dem Format“, so Thomas Wolff. „Man liest etwas oder beschäftigt sich mit einem Thema und hat Lust, das zu inszenieren.“ Und so steht mal ein literarischer Abend auf dem Programm, dann wieder eine Koch-Show oder etwas Musikalisches. „Ich habe sogar schon einmal einen Abend mit pornografischer Literatur gemacht“, erzählt der 56-Jährige. „Natürlich verantwortungsvoll.“

Das offene Format macht die Freitagnacht immer wieder überraschend anders. „Ob szenisches Theaterstück mit Bühnenbild und Kostüm oder Lesung mit Schreibtisch und Leselampe, es lebt von dieser Einmaligkeit“, betont der Schauspieler, der seit 2002 fest zum Ensemble des Bielefelder Theaters gehört. Dabei bietet die Freitagnacht die Möglichkeit auf unterschiedlichen Ebenen kreativ zu sein. Und auch mal Genres zu wählen, die am Theater nicht vorkommen. „So kann man Neues entdecken und auch sich selbst ausprobieren“, stellt Thomas Wolff fest, der seine szenische Fassung von „Vom Winde verweht“ auf die Bühne des TAM gebracht hat. Erst hat er sich durch den 1200 Seiten starken Roman gelesen, ihn dann auf eineinhalb Stunden komprimiert und schließlich mit drei anderen Ensemblemitgliedern aufgeführt. „Die Bühnenfassung zu schreiben, war echt anstrengend. Die Vorbereitung auf den Abend knapp; es gab zwar einen roten Faden, der Rest war aber improvisiert“, erzählt er mit einem Lachen. „Das hatte Charme und rührende Momente, die ich sehr mochte. Aber, man kann mit dem, was man macht, natürlich auch scheitern.“ Nicht zu unterschätzen ist auch das kreative Potential, das die Freitagnacht beim gesamten Ensemble freisetzt. Davon profitiert hat auch schon das Haus, das die kreativen Ressourcen seiner SchauspielerInnen nutzte und mit ‚PReVolution‘ ein vom ganzen Ensemble gemeinsam entwickeltes Projekt realisierte.

Längst ist es nicht nur die Sparte Schauspiel, die sich bei den monatlich stattfindenden Freitagnächten beteiligt. Auch die Tänzer des Bielefelder Ensembles gestalten Freitagnächte. „Es war auch schon einmal das gesamte Ensemble beteiligt“, erinnert sich Thomas Wolff. Und für „Frauen an der Bar“ stand zum Schluss mal das gesamte Frauenensemble des Bielefelder Theaters auf der Bühne. Nachdem die Vorstellungen anfangs im Foyer des TAM stattfanden, hat die Late-Night-Reihe heute ihre Spielstätte im TAM 2 und 3 gefunden. Es gab aber auch schon einmal eine Inszenierung im Lastenaufzug des Dürkopp-Gebäudes. „Wir hatten den Spielort dramaturgisch bewusst für ein schön-schauriges Stück gewählt“, so Thomas Wolff, der nach einer Hamlet-Aufführung zum ersten Mal den Wunsch verspürte Schauspieler zu werden. Ein für ihn magischer Moment. „Ich habe gemerkt, da redet einer über mich und es ist so gar nicht das Stück, wie wir es in der Schule besprochen haben, sondern es hat mit mir als Mensch zu tun“, erinnert sich Thomas Wolff. „Aber ich hatte keine Ahnung, wie man Schauspieler wird.“ Den Weg zum Theater hat er gefunden.

Termine für die „Freitagnacht“: www.theater-bielefeld.de/programm/specials

Alles sieht so anders aus

WEGE ERLEBEN

Nachts sind alle Katzen grau. Stimmt. Doch wenn das Spiel aus Licht und Schatten alle Farben verdrängt, übernehmen die anderen Sinne. Wir riechen, hören, spüren intensiver. „Nachts kommt es mir oft so vor, als ob die Füße das Sehen übernähmen“, sagt Renate Dyck. Eine Erfahrung, die interessierte Nachtschwärmer mit ihr teilen können.

Unter dem Motto „Wege erleben“ hat die Bielefelderin seit 2004 ein Konzept entwickelt, das Wanderungen mit Kultur- und Naturerlebnissen verbindet. Für Kinder und Erwachsene, bei Tag und bei Nacht. Von der Skulpturenwanderung bis zu tierischen Begegnungen. Die lassen sich allerdings schlechter planen, denn Eule, Uhu, Kröte und Co. halten sich an keine Verabredung. Umso magischer sind dann Momente wie das „Glühwürmchenballett“, das zu ihren beliebtesten Touren zählt. Deren tanzendes Leuchten, das sie vor Jahren zufällig bei einem Waldspaziergang mit Freunden erlebte, hat Renate Dyck überhaupt erst zu ihren Angeboten inspiriert.

Manchmal entpuppen sich die Lichter, die im finsteren im Wald auf einen zurasen, aber auch als Mountainbiker. „Alles sieht so anders aus“ heißt eine ihrer Touren, die unsere veränderte Wahrnehmung bei Nacht thematisieren. Wie schnell die Phantasie uns im Dunkeln Streiche spielt, hat verschiedene Gründe. Zum einen kreucht und fleucht, raschelt und knistert es immer irgendwo. „Wenn der Autolärm verebbt ist, nehmen wir Naturgeräusche ganz anders wahr“, weiß Renate Dyck.

Zum anderen ist das Reich der Nacht stets ein wenig unheimlich. Hinter jedem Baum scheinen merkwürdige Gestalten zu lauern. Auch Renate Dyck hat sich lange davor gefürchtet, allein im Dunkeln unterwegs zu sein. Inzwischen genießt sie es. Weiß, dass sie sich auf ihre Sinne und Instinkte verlassen kann. „Das ist ein gutes Angstbewältigungstraining“, unterstreicht die Bielefelderin. Schmunzelnd erinnert sie sich eine besondere Begegnung: Ein großer Hund, ganz allein auf einem einsamen Weg. Doch je näher sie kam, desto kleiner wurde er. Und am Ende entpuppte sich der Scheinriese, auf den sie beruhigend eingeredet hatte, gar als harmloser Pömpel.

Manchmal sind aber auch Gestalten im Wald unterwegs, über die sich seine natürlichen Bewohner wundern dürften. So etwa beim „Nach(t)klang“. Der Spaziergang durch Zeit & Traum ist einer der drei Gewinner der „Fan-Aktion für Bielefeld“ der Bielefeld-Marketing. Entwickelt hat Renate Dyck dieses ganz besondere Projekt mit dem Shademakers Carnival Club. Gemeinsam laden sie zu einer Traumreise mit Kostümperformance, Tanz, Licht und Poesie, vorgetragen von Andreas Liebold. Musikalisch wird der erste Abend im Mai von Sigurd Müller auf seinem Barockcello gestaltet. Im September steht ein Jazzkonzert auf dem Programm. Mal schauen, was Fuchs und Hase von diesen Klängen halten, wenn sie sich gute Nacht sagen.