„EIN JAHRHUNDERTEREIGNIS“
Mit dem DSC Arminia Bielefeld hat Rainer Schütte schon so einiges erlebt. Als 14-Jähriger war er vor 55 Jahren zum ersten Mal im Stadion. Seit 2021 ist er Präsident – und erlebte nun in dieser Funktion die erstmalige Teilnahme am DFB-Pokalfinale sowie eine Welle der Begeisterung in Ostwestfalen und darüber hinaus.

Herr Schütte, hätten Sie mit dieser Euphorie gerechnet?
In diesem Ausmaß, nein. Ich bin immer noch begeistert von den vielen Aktionen der Fans, Firmen, Einzelpersonen, Schulen, Kindergärten etc. für unsere Mannschaft. Ganz Ostwestfalen war im positiven Sinne angezündet.
Wissen Sie, wie viele neue Mitglieder der DSC gewonnen hat? Da bin ich sehr genau im Bilde. Erst gestern Nacht habe ich 1.200 Mitgliedsurkunden unterschrieben und ein weiterer Karton steht für heute bereit (lacht). Insgesamt sind rund 10.000 neue Menschen dazugekommen, die sich sportlich, aber auch mit den anderen Bereichen, für die der Verein steht, identifizieren können. In Summe sind wir jetzt bei über 25.000.
Vor gar nicht allzu langer Zeit sah die schwarz-weiß-blaue Welt noch anders aus …
Letztes Jahr war der Tabellenplatz kritisch, wir haben erst am vorletzten Spieltag den Ligaverbleib gesichert, aber die Lage im Gesamtvereins war überhaupt nicht kritisch. Durch die vor zwei Jahren eingeleitete Umstrukturierung, strukturell und konzeptionell, konnte die Grundlage für diese erfolgreiche letzte Saison gelegt werden, an deren Ende der von allen erhoffte Aufstieg steht. Bemerkenswert ist, dass 2023 – zeitgleich mit dem Abstieg in die 3. Liga – der Spatenstich für den Bau des neuen Trainingsgeländes stattfand. Das zeugt von Vertrauen und Zuversicht unserer Partner, der Stadiongesellschaft und aus dem Bündnis.
Und dann dieses Jahr Pokalfinalist ...
Dass diese Pokalsaison so überragend verläuft, davon träumt man, aber damit kann man nicht rechnen. Das können Vereine wie Bayern, Dortmund, Leipzig oder Leverkusen, wir aber nicht. Von Runde zu Runde haben wir gesagt, das müssen wir einfach genießen. Dass Arminia im Finale steht, ist vielleicht ein Jahrhundertereignis; davon handeln viele der „Einmal im Leben“-Geschichten der Fans – und die beeindruckenden Choreos.

Was glauben Sie, war das Erfolgsrezept?
Zusammenhalt, Geduld und Vertrauen – das haben Michael Mutzel, Mitch Kniat und sein Trainerteam vorgelebt. Eine Währung, die aus meiner Sicht nicht nur im Fußball, sondern für das ganze Leben essenziell ist. Hinzu kommen Fleiß und konzeptionelle Arbeit. Als im Februar ein kleiner Teil der Fans „Kniat raus!“ skandierte, sind alle Verantwortlichen im Verein ruhig geblieben. Mittlerweile haben sich einige der seinerzeit unzufriedenen Fans entschuldigt. Auch das zeugt von Größe. Mitch Kniat hat sehr gut darauf reagiert. Er ist ein feiner Kerl, ein Teamplayer, der Verantwortung übernimmt, und selbst mit anpackt, sehr höflich und ohne Allüren. Das transferiert er auf die Spieler. Das gesamte Trainerteam beobachtet nicht nur die fußballerische, sondern auch die persönliche Entwicklung. Unser Geschäftsführer Sport, Michael Mutzel, hat ein kluges Betreuungskonzept erstellt. Dazu gehören regelmäßige beispielsweise Besuche in Bethel, bei denen Spieler Menschen mit teils schweren Behinderungen besuchen. Es ist immer wieder schön zu beobachten, wie etwaige Berührungsängste schwinden. Das tut menschlich allen gut. Es ist wichtig, Nähe zum normalen Leben zuzulassen, damit die Profis nicht in ihrer Fußball-Blase bleiben.
Bei Heimspielen sitzen Sie auf der Westtribüne und gehen sehr emotional mit. Wie war das im Olympiastadion?
Die Stimmung auf der sogenannten Ehrentribüne war sehr gut. Vertreter beider Vereine, der Bundespräsident, die Bundestagspräsidentin, die Landesväter sowie Funktionäre von DFB und DFL waren voll und ganz dabei. Herr Steinmeier ist ja Lipper und weiß, wer bei Arminia spielt. Im gesamten Olympiastadion herrschte von beiden Seiten eine festliche Stimmung. Trotz des Spielstands haben die Arminen-Fans ihre Mannschaft gefeiert. Und wenn ich daran zurückdenke, dass die Nationalhymne für und wegen unserer Arminia gespielt wurde, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut. Das war etwas außerordentlich Besonderes.
Wie sah Ihr Programm am Pokalwochenende aus?
Ich bin schon vor dem Pokal-Wochenende zu einer Veranstaltung des Fanclubs des Bundestages nach Berlin gefahren. Am Donnerstagabend war ich bei „Tante Käthe“. Die Berliner-Arminen-Fans haben dort ein Wahnsinnsprogramm auf die Beine gestellt, vom „Abend der Legenden“ bis hin zur Arminia-Fibel – eine Art Pokal-Reiseführer. Am Freitag fand eine Konferenz namens Hartplatzhelden statt. Es ging um die Stärkung des Amateurfußballs und seine gesellschaftliche und politische Verantwortung. Wie beispielsweise junge Menschen über den Fußball in die Gesellschaft integriert werden können. Da wir in puncto Integration und Inklusion durch unsere verschiedenen Aktivitäten oder durch unsere enge Bindung zu Bethel, schon seit langem aktiv sind, waren wir zu diesem Austausch eingeladen worden. Ein weiteres Thema war das ehrenamtliche Engagement in den Vereinen. Leider beobachten wir eine abnehmende Breitschaft, sich einzubringen. Das ist besorgniserregend, denn ohne Ehrenamtliche könnten wir viele Dinge in einem Verein nicht organisieren. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Ohne Ehrenamtliche geht nichts, deshalb haben wir ihnen als Zeichen der Wertschätzung eine Eintrittskarte für das Finale zur Verfügung gestellt. Nach der Konferenz ging es nachmittags weiter mit dem Fan-Fest auf dem Alex – inklusive des Singens mit Shantallica zum Einstimmen auf das Finale.
Also immer nah dran an den Fans?
Ich bin ja selbst seit 1970 Fan (lacht). Wie sich Ostwestfalen und Bielefeld in Berlin präsentiert hat, das war grandios. Die ganze Zeit herrschte eine freudige und friedliche Stimmung. Selbst bei den gravierenden Problemen beim Einlass haben unsere Fans die Ruhe bewahrt und sich gegenseitig geholfen. Die Situation vor dem Stadion hätte auch zu aggressivem Verhalten führen können, ist aber dank der Besonnenheit der Ostwestfalen nicht eskaliert. Es ist mir unverständlich, warum die Sicherheitsbehörden zu der Einschätzung kamen, die Fanlager müssten vor dem Stadion strikt getrennt werden. Den ganzen Tag haben Bielefelder und Stuttgarter – zwei Traditionsvereine – friedlich auf das Finale hingefiebert. Durch die Trennung mussten alle Arminen-Fans durch das Nadelöhr Marathon-Tor mit seinen Drehkreuzen, was zu nicht hinnehmbaren Verzögerungen führte.
Inwiefern profitiert der Gesamtverein von den Mehreinnahmen?
In der 3. Liga mussten wir sehr drauf achten, dass die Budgets der verschiedenen Abteilungen des Vereins eingehalten werden. Das gilt natürlich auch weiterhin, aber jetzt können wir wieder ein bisschen mehr gestalten und unsere Projekte weiter vorantreiben, etwa in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, den Rollstuhlsport, unsere Fußballschule und auch unsere Julius-Hesse AG, die sich zum Beispiel mit regelmäßigen historischen Rundgängen „Spurensuche – Arminia während des Nationalsozialismus“ dafür einsetzt, Vergangenes transparent zu machen und damit das Demokratieverständnis fördert. Außerdem wollen wir den Frauenfußball stärken und die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung vorantreiben, die uns schon lange begleiten.
Vor etwa drei Jahren hatten Sie formuliert, Arminia möge OWLs emotionaler Leuchtturm werden. Ist das geglückt?
Das passt jetzt ganz wunderbar. Wenn ich mir die Bilder vom Fan-Fest auf dem Alex vor Augen führe, war unser Leuchtturm einen Kilometer hoch und hat gestrahlt. Und dennoch ist dieser Verein sehr nahbar – und das wollen wir auch bleiben.
Hand aufs Herz, waren Sie bei Abpfiff im Olympiastadion doch ein wenig traurig?
Natürlich war auch bei mir der Traum vorhanden, den Pott nach Bielefeld zu holen und damit ein Riesenkapitel für die Geschichtsbücher zu schreiben. Insbesondere nach der Schlussphase, als man dachte, da geht doch noch was, war ich ganz kurz geknickt, aber dann überwog das Gefühl: Wir haben zwar den Pokal nicht gewonnen, aber dafür alles andere. Wir haben so viele Sympathien für den Verein und für Bielefeld gewonnen. Arminia hat es geschafft so viele Menschen zu euphorisieren. Ich will den Fußball nicht überhöhen, aber er bringt Menschen zusammen. Und das ist es, was wir als Gesellschaft dringend brauchen – das gemeinsame Erleben. Früher gab es die Dorfkneipe, aber seit etwa 20 Jahren nimmt meines Erachtens die Isolierung zu, verstärkt noch durch die Corona-Pandemie. Im Stadion kommen wir zusammen und können gemeinsam Emotionen leben. Außerdem weiß man nun in ganz Deutschland, wie gut Ostwestfalen feiern können.
Mit welchem Gefühl blicken Sie in Arminias Zukunft?
Mit Ende 60 weiß man, dass es nach Krisen immer weitergeht. Das hilft enorm dabei, schwierigen Phasen etwas Positives abzugewinnen. Auch aus Niederlagen kann man gestärkt hervorgehen und sie können den Zusammenhalt sogar stärken. Auch darum sehe ich mit einem sehr positiven Blick in die Zukunft für unseren Herzensverein.