Der Krieg in der Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe – mit erheblichen Folgen auch für die Wirtschaft in Deutschland. Energie einsparen, selbst erzeugen und höhere Kosten weitergeben – das sind die Maßnahmen, die Unternehmen zurzeit angesichts steigender Energiekosten und fragiler Lieferketten ergreifen. Arne Potthoff, Referatsleiter Industrie und Volkswirtschaft der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld, spricht über die Auswirkungen für die Unternehmen aus der Region, entwirft ein Stimmungsbild und formuliert Erwartungen an die Politik.

Wie gehen Unternehmen aus der Region mit den steigenden Energiekosten um?

Nicht jedes Unternehmen ist sofort und unmittelbar betroffen. Manche Unternehmen trifft es wenig, einige sehr stark. So haben einige Unternehmen bereits vor der Krise fast vollständig auf Erneuerbare Energien gesetzt – von Photovoltaik über Biogasanlagen bis hin zu Windkraft. Darüber hinaus haben viele Firmen noch laufende Lieferverträge für Strom und Gas und sind zunächst noch auf der sicheren Seite. Bei Neuabschlüssen müssen Betriebe aber mit erheblichen Preissteigerungen rechnen. Und natürlich sind viele Unternehmen über Vorprodukte wie Stahl, Kunststoffe, Verpackungen oder Öl betroffen. Diesel für den Fuhrparkbenötigt auch fast jedes Unternehmen.
Aber gerade energieintensive Firmen oder die, die unter zunehmenden Lieferkettenproblemen leiden, beobachten die steile und nicht vorhersehbare Preisentwicklung für Energie mit Sorge. 80 Prozent sehen die hohen Energiekosten als eine der schwerwiegendsten Folgen des Ukraine-Krieges. Viele von ihnen müssen die höheren Kosten weitergeben. Das zeigt unsere IHK-Blitzumfrage, an der sich knapp 500 Unternehmen beteiligt haben. Die Nachfrage nach Lösungen steigt. Denn eines ist klar: Die Preise werden sich nicht wieder auf das Niveau vor Kriegsbeginn herunterschrauben.
Bereits zuvor waren sie stetig gestiegen und Russland wird perspektivisch als Lieferant ausfallen.

Was ist die Erwartung an die Politik?

Es geht darum, verlässliche Rahmenbedingungen und Versorgungssicherheit – vor allem bei den Gaslieferungen – zu gewährleisten und an einigen Stellen mehr Tempo aufzunehmen. Wir brauchen eine Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren Energie, beim Netzausbau sowie bei der Genehmigung und dem Aufbau von Flüssiggasterminals mit Anschluss an das Gasnetz. Gleichzeitig erwartet die Wirtschaft, die aufgrund der gegenwärtigen Kostensteigerungen ohnehin schon stark belastet ist, dass sie nicht mit noch weiteren Zusatzkosten konfrontiert wird. Ich denke dabei zum Beispiel an seitens der EU initiierte zusätzliche Verpflichtungen über ein EU-Lieferkettengesetz oder ausgeweitete Berichtspflichten im Rahmen der EU-Taxonomie. Die Umsetzung dieser Themen ist für die Betriebe meist bürokratisch und sehr aufwendig.

Geht Wirtschaft vor Umwelt?

Nein, das sicher nicht. Die weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2035 zu erreichen, ist richtig – gerade vordem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage. Auf der anderen Seite ist die Versorgungssicherheit einfach ein hohes Gut. Und im Moment gilt es ganz akute Probleme wie den Ukraine-Krieg zu lösen.
Diese Last lassen die Herausforderungen aufgrund des Klimawandels etwas in den Hintergrund treten. Und nach zwei Jahren Corona und den jetzt erneut auftretenden massiven Lieferengpässen mit hohen Preissteigerungen befinden sich viele Unternehmen am Rand ihrer Kapazitäten. Man kann nicht alles gleichzeitig verfolgen, beim Klimaschutz haben wir sicherlich zu viel Zeit in konjunkturell einfacheren Zeiten vergeudet.

Welche Rolle übernehmen die Industrie- und Handelskammern wie die IHK Ostwestfalen zu Bielefeld?

Wir sind das Sprachrohr für die Unternehmen aus der Region und haben im Verbund mit Landes- und Bundesorganisationen aktuell natürlich besonders die Versorgungssicherheit der Unternehmen im Blick. Darüber hinaus stoßen wir unterschiedlichste Projekte an. Eine davon ist die OWL-Klimainitiative.
Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, die wir als Gesellschaft zu bewältigen haben. Mit der Klimainitiative wollen wir Unternehmen aus der Region motivieren, sich zu verpflichten bis 2030 klimaneutral zu sein. 32 Unternehmen sind bereits dabei.