Was spaltet? Was eint?

Konflikte, das hat jede/r von uns schon erlebt, verlaufen keinesfalls immer konstruktiv. Und auch das Thema Zusammenhalt hat – wie alles – zwei Seiten. Darüber, was unsere Gesellschaft spaltet, aber auch was sie kittet und welche Klebstoffe sie zusammenhalten, haben wir mit Prof. Dr. Andreas Zick vom Institut für Konflikt und Gewaltforschung (IKG) an der Uni Bielefeld gesprochen.

Wo erleben wir Zusammenhalt? Wo ist er gegeben, wo fragil und wo werden Gruppen ausgeschlossen? Wir untersuchen dies aus der Konfliktperspektive heraus, denn es gibt nicht den Zusammenhalt“, erklärt der Bielefelder Konfliktforscher. In modernen Demokratien – und damit auch in unseren Stadtgesellschaften – muss dieser Zusammenhalt immer wieder ausgehandelt werden. Manchmal kippt er in Richtung Exklusion, also Ausschluss aus dem Zusammenhalt, mal in Richtung Inklusion. Und so kann Zusammenhalt durchaus auch den gesellschaftlichen Frieden gefährden.

Das passiert immer dann, wenn er in einem exklusiven Sinne verstanden wird, also die einen den Zusammenhalt ohne die sowie Institutionen der politischen Partizipation. „In Bielefeld richten wir den Fokus ganz gezielt auf Projekte, die untersuchen, wo Konflikte den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken oder gefährden“, erklärt Andreas Zick, der seit 2008 am IKG arbeitet und das Institut seit 2013 leitet. Es gehört zu einem von elf Standorten des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). 2020 gegründet, erforscht das FGZ in 83 Forschungsund Transferprojekten Verständnis und Formen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und analysiert Faktoren, die ihn befördern, stabilisieren oder erschüttern – auch in Bielefeld.

„Das spiegelt sich ganz konkret in Diskussionen und äußert sich auch in der anderen verstehen. Das spiegelt sich dann zum Beispiel in Vorstellungen von Minderwertigkeiten von Anderen, äußert sich in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also Vorurteilen und Herabwürdigungen derjenigen, die angeblich nicht dazugehören. Es zeigt sich auch in Rechtsextremismus wie Rechtspopulismus, der gesellschaftlichen Zusammenhalt als nationalen Zusammenhalt versteht. Ist Zusammenhalt dagegen konstruktiv, stärkt er Gesellschaften zum Beispiel durch die Inklusion gesellschaftlich verdrängter Gruppen in Lebensbereichen und Institutionen wie Schule und Gesundheit sowie Institutionen der politischen Partizipation. „In Bielefeld richten wir den Fokus ganz gezielt auf Projekte, die untersuchen, wo Konflikte den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken oder gefährden“, erklärt Andreas Zick, der seit 2008 am IKG arbeitet und das Institut seit 2013 leitet. Es gehört zu einem von elf Standorten des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). 2020 gegründet, erforscht das FGZ in 83 Forschungs- und Transferprojekten Verständnis und Formen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und analysiert Faktoren, die ihn befördern, stabilisieren oder erschüttern – auch in Bielefeld.

Wahrnehmung, zum Beispiel, wenn es um Plätze und Räume einer Stadt geht“, weiß der Konflikt- und Gewaltforscher. Obwohl Bielefeld zur zweitsichersten Stadt in Deutschland (Stand 2021) zählt, wird beispielsweise der Kesselbrink subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die einen sehen ihn als Bedrohung, für andere repräsentiert er das Thema Zusammenhalt besonders stark, weil unterschiedliche Gruppierungen dort zusammenkommen. „Inklusion und Kohäsion – das sind die Bindekräfte, die Zusammenhalt erzeugen. Wir brauchen in unserer Demokratie Zusammenhalt und die Aushandlung von Konflikten, um sie stabil zu halten“, betont Andreas Zick. Teilhabe und Bindung sind dafür wesentliche Faktoren. Nichtteilhabe ist dagegen der Schritt, sich von Demokratie zu verabschieden. Die Bindung zu verlieren, stellt daher auch die größte Gefahr dar. Andreas Zick verweist auf die aktuelle „Mitte Studie“, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert wird und alle zwei Jahre rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen repräsentativ für die deutsche Gesellschaft untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Bürger*innen, die den Zusammenhalt des Landes gefährdet sehen, stärker Vorurteile gegen Minderheiten haben und antidemokratischen Einstellungen signifikant stärker zustimmen. Sie stehen für ein exklusives Konzept von Zusammenhalt, das den Grundprinzipien von Demokratie widerspricht.

“Inklusion und Kohäsion
– das sind die Bindekräfte, die Zusammenhalt erzeugen. Wir brauchen in unserer Demokratie Zusammenhalt
und die Aushandlung von Konflikten, um sie stabil zu halten.”

Andreas Zick

Fünf Faktoren sind für den Sozialpsychologen entscheidend dafür, ob der Zusammenhalt einer Gesellschaft erschüttert oder befördert wird. Vertrauen ist ein erster wichtiger Baustein, um Bindekraft zu fördern. Misstrauen wirkt als zentrifugale Kraft dagegen. Die Auswirkungen von Krisen – von Corona über die Klimakrise bis hin zum Ukraine Krieg –, dies belegen Studien, führen zu einem hohen Ausmaß an Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen. „Fast jede zweite Person stimmt beispielsweise zu, dass Demokratie zu faulen Kompromissen führt“, erklärt Andreas Zick. „Auch antisemitische Haltungen und Taten haben zugenommen. Das sind Indikatoren von Misstrauen, die sich auch in der Gesellschaft wiederfinden, u. a. im Umgang mit Gruppen und skandalisierten Räumen wie zum Beispiel dem Kesselbrink.“

Eine zweite, wesentliche Bindekraft ist Gemeinschaft. Sie wird in der Stadtgemeinschaft gelebt, indem viele Gruppen über Institutionen und Vereine eingebunden werden. „Die Arbeit der Bielefelder Bürgerstiftung ist ein positives Beispiel dafür“, so der Wissenschaftler. Separation und damit die Ausbildung von Parallelgesellschaften gefährden dagegen die Bildung von Gemeinschaft. Das spiegele sich zum Beispiel in dem Gefühl von Menschen, die sich als Bürger*innen zweiter Klasse empfänden. Auch in Stadtgesellschaften wie Bielefeld gibt es Gruppen, die sich so fühlen und anfällig sind, Integration durch die Herabwürdigung anderer zu erfahren. Eine dritte Kraft sind Kontakte und Begegnungen. Sie braucht es, um Beziehungen zu- und miteinander aufzubauen. In Städten sind es innerstädtische Räume, die gemeinsam Stadt erleb- und erfahrbar machen und Begegnungen unterschiedlicher Gruppen und Generationen ermöglichen. Dazu dienen beispielsweise auch Stadtfeste. Allerdings gibt es Gruppen, die den Anschluss verlieren. Die einen, weil sie nicht die Möglichkeit haben, in Kontakt zu treten, wie ältere Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen. Die anderen, weil sie ganz bewusst auf Distanz gehen – auch zum Staat. „Reichsbürger sind ein extremes Beispiel dafür, wie weit sich Gruppen distanzieren können. Das ist eine Herausforderung für die Gesellschaft“, unterstreicht Andreas Zick, „und auch das kennen wir in Ostwestfalen gut.“

Teilhabe ist für ihn ein weiteres maßgebliches Kriterium, um den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu stärken. Das weiß auch die Politik, die Integration durch Teilhabe immer wieder auf ihre Fahnen schreibt. Als fünftes, sozialpsychologisch wichtiges Kriterium betrachtet er das Zusammengehörigkeitsgefühl. „Wenn Gruppen dies nicht erfahren, schwächt es den Zusammenhalt“, stellt er fest und fragt provokant: „Wer ist eigentlich Bielefelderin? Nur wer hier geboren ist oder auch Eingereiste, Eingewanderte oder Geflüchtete?“ Eine Klassifizierung, das wird hier schon deutlich, trägt nicht dazu bei, sich einer Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Sich mit einer Gesellschaft, einer Stadt identifizieren zu können, dagegen sehr wohl. Die Aussage „Bielefeld, das bin ich“ erfüllt diesen identitätsstiftenden Anspruch. „Es gibt jedoch Gruppen, die Missachtung erfahren und nicht als ‚Bielefelderin‘ wahrgenommen werden“, weiß der Wissenschaftler. Dazu zählen vielfach Muslime, die häufig nicht als Bielefelder*in, sondern vor allem als Muslime betrachtet würden. Und so schwächt auch die Nichtanerkennung von Identitäten den Zusammenhalt und damit die Gesellschaft. „In Bielefeld steht demnächst ein Integrationsmonitoring an, bei dem Erfahrungen, Erleben, Zusammenhalt und Möglichkeiten neu vermessen werden“, sagt Andreas Zick. Geplant ist ein kommunales Integrationszentrum, wo wissenschaftlich erfasst werden soll, welche Gruppen welchen Zusammenhalt erfahren.

Um es deutlich zu machen, verweist er auf Gewalt gegen Gruppen. Häusliche Gewalt gegen Frauen zeigt zum Beispiel, dass Frauen lange Zeit als weniger gleichberechtigter Teil der Gesellschaft betrachtet wurden. „Vor allem zeigen alle Fälle von Gewalt, wo Solidarität nie gegeben war. Und Populismus, wo Bindekräfte fehlen“, betont der Gewalt- und Konfliktforscher. Die Idee, dass sich eine demokratische Zivilgesellschaft kontinuierlich entwickelt, und zwar auf Grundlage einer sozialen Kohäsion, dem sozialen Klebstoff, ist zugleich Ziel wie Idealvorstellung. „Es geht darum, die Qualität zu verbessern“, unterstreicht Andreas Zick. „Vorurteilsmuster bringen uns jedenfalls nicht auf den Weg zum Zusammenhalt.“ Dazu brauche es neben bestimmten Rechten, Solidarität und Strukturen, Würde, Wege und Anerkennung, um Gerechtigkeit zu erfahren und Unterstützung zu erhalten. „Man muss sich nicht lieben, um Zusammenhalt zu beweisen. Es geht vielmehr darum, sich gut reiben zu können. Das macht die Qualität von Zusammenhalt aus“, unterstreicht Andreas Zick. Bielefeld sieht er gut aufgestellt. Als der bürgerliche Zusammenhalt in den späten 1980er Jahren durch Rechtsextreme gefährdet war, entwickelte die Stadtgesellschaft Bindekräfte. „Dies zeigt sich heute noch u. a. durch das Bündnis gegen Rechts, Bielefeld stellt sich quer!‘.“