Sommerzeit ist Lesezeit

Nun ist bald Halbzeit bei den Sommerferien. Wir hoffen, der Lesestoff ist Ihnen noch nicht ausgegangen. Hier ein paar Tipps für den Strandkorb.

Jojo Moyes: Die Frauen von Kilcarrion

Rowohlt Polaris, 17 €

Kates Verhältnis zu ihren Eltern war immer schwierig. Als junge Frau hat sie Irland verlassen, unverheiratet und schwanger, um in London neu anzufangen. Bei ihrer eigenen Tochter wollte sie alles besser machen. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Kate kommt gerade mit ihrem eigenen Leben nicht klar. Deshalb schickt sie die mittlerweile Sechzehnjährige nach Irland, damit Sabine auf Gut Kilcarrion ihre Großmutter kennenlernt. Sabine ist gelinde gesagt mäßig begeistert, Der einzige Fernseher steht im Zimmer ihres bettlägerigen Großvaters und ihre Großmutter Joy führt ein rigides Regiment – mit pünktlichen gemeinsamen Mahlzeiten. Doch allmählich bricht das Eis … Drei Frauenleben – eine Geschichte. Eine Geschichte, die berührt. (E.B.)

Elisabeth Herrmann: Zartbittertod

cbj-Verlag, 10 €

Das Cover führt ein wenig in die Irre: Hier geht es nicht um eine Schmonzette für Heranwachsende, sondern um die Nachwirkungen kolonialen Verbrechen der sogenannten deutschen „Schutzmacht“ in Namibia. Eine politische Geschichte, verpackt in einen spannungsreichen Kriminalroman, der ohne erhobenen Zeigefinger viel Wissenswertes über die Geschehnisse auf dem afrikanischen Kontinent vermittelt und eindrücklich zeigt, dass die Konsequenzen bis in die Gegenwart reichen.

Zur Story: Mia ist in dem kleinen Chocolaterie-Geschäft ihrer Eltern aufgewachsen – mit den wunderbaren Rezepten, aber auch mit dem rätselhaften Familienfoto, auf dem ein lebensgroßes Nashorn aus Schokolade zu sehen ist, zusammen mit ihren Urgroßvater Jakob und seinem Lehrherrn. Der Lehrherr ist weiß, Jakob schwarz. Mia ist zwar bekannt, dass ihr Vorfahr als kleiner Junge aus dem damaligen Deutsch-Südwestafrika nach Deutschland gekommen ist. Aber warum? Und wie? Als Mia den Nachkommen von Jakobs Lehrer unbequeme Fragen stellt, sticht sie in ein Wespennest. Liebe und Verrat, sie ziehen sich durch die Generationen, und als Mia endlich versteht, wer sie zum Schweigen bringen will, ist es fast zu spät … Zwar als Jugendbuch konzipiert, ist dieses Buch aber auf jeden Fall für alle Altersgruppen eine höchst lohnenswerte Lektüre. (E.B.)

Marie Hermanson: Der Sommer, in dem Einstein verschwand

Insel-Verlag, 10 €

Es ist immer wieder eine höchst vergnügliche Angelegenheit in die literarische Welt der begnadeten schwedischen Erzählerin einzutauchen. Die große Ausstellung, die 1923 anlässlich des 300. Gründungsjubiläums in Göteborg stattfand, ist das Thema des Jahres – nicht nur in Schweden. Die Göteborger haben sich nicht lumpen lassen und eine komplette Stadt gebaut – mit Ausstellungshallen, Restaurants, Vergnügungspark, Polizeirevier, Zeitungsredaktion und vielem mehr. Diese pulsierende Stadt in der Stadt zieht unterschiedlichste Menschen an. Angefangen bei Otto, dem Jungen vom Land, der mit seiner Eselin Bella zum Star der Ausstellung avanciert, über Ellen, die als junge Journalistin ihren ersten Job ergattert bis zu dem sympathischen Polizisten Nils, der Ellen mehr als ein Mal aus der Klemme hilft. Und da wäre natürlich noch Albert Einstein, der in Göteborg erwartet wird, um seine längst überfällige Rede zum Nobel-Preis zu halten. Doch der berühmte Physiker ist plötzlich verschwunden. Mit seiner Relativitätstheorie hat er sich nicht nur in der Welt der Wissenschaft viele Feinde gemacht, sondern auch verblendete Antisemiten auf den Plan gerufen. Was können Nils, Ellen und Otto gegen diese mächtige Netzwerk ausrichten? Eine wunderbar berührende Geschichte mit viel Herzblut geschrieben, die die magische Atmosphäre dieses Sommers in Göteborg in ganz besonderer Weise einzufangen vermag. (E.B.)

Jenny Blackhurst: Das Gift deiner Lügen

Lübbe, 11 €

Wer die US-Serie „Big little lies“ mochte, wird von diesem Krimi begeistert sein. Ein klassischer „Whodunit“ mit vielen unvorhergesehenen Wendungen. Jenny Blackhurst entführt die Leserschaft in das englische Villenviertel Severn Oaks. Aber hinter den Mauern der gut behüteten Familien ereignete sich bei einer Halloween-Party ein tragischer Unfall. Erica Spencer, geschätztes Mitglied der Community, stürzt aus einem Baumhaus zu Tode. Die Polizei legt den Fall schnell zu den Akten. Doch dann macht ein rätselhafter Podcast die Runde: Der Mord an Erica Spencer. Wöchentlich postet ein anonymer Absender neue Folgen seiner makabren Sendung, in der er hinter die scheinbar makellosen Fassaden des Ortes blickt und so manches dunkle Geheimnis seiner Bewohner enthüllt. Seine Absicht: Er will den Mörder von Erica entlarven – und ruft ihn damit erneut auf den Plan. Und das ist spannend bis zur letzten Seite, denn alle, die mit Erica zu tun hatten, haben in irgendeiner Weise Dreck am Stecken. Eine Story voller Überraschungen. (E.B.)

Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte

Piper, 22€

Wann sind eigentlich alle so angestrengt lustig geworden. Moderatoren von TV- und Radiosendungen gibt es scheinbar nur noch im Doppelpack, damit sie sich die Bälle zuspielen und aus Informationen Unterhaltung machen. Frédéric Beigbeder zeichnet in seinem neuen Roman die Selbstvernichtung von Octave Parango, Frankreichs meistgehörter Radiokolumnist. Der hat allerdings gehörig die Faxen dicke. Jeden Donnerstagmorgen kommentiert er die Lage der Nation – blitzgescheit und amüsant, überdreht und bissig. Doch in Wahrheit ist Octave das Lachen vergangen: Die Neonwesten stecken die Republik in Brand und selbst die besten Drogen täuschen ihn nicht mehr darüber hinweg, dass seine Tage als Don Juan gezählt sind. Beigbeder begleitet Octave eine Nacht bei seinem Zug durch die Gemeinde, die in diesem Falle Paris heißt. Von 19 Uhr bis 7 Uhr morgens. 12 Stunden voller Alkohol, Drogen, sexuellen Gelüsten und philosophischen Gedanken, während die französische Metropole in Flammen steht. (E.B.)

Lina Bengtsdotter: Mohnblumentod

Penguin, 13 €

Der Alptraum jeder Eltern. In Karlstad wird ein neun Monate altes Baby entführt. Für die Polizei beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn jede Stunde, die verstreicht, verringert die Chancen, Beatrice lebend zu finden. Mysteriöserweise erhalten die gut betuchten Eltern keine Lösegeldforderung. Und auch alle anderen Spuren verlaufen im Sande, bis die Stockholmer Kommissarin Charlie Lager einen Hinweis erhält, der den Fall in einem neuen Licht erscheinen lässt – und ganz persönlich mit ihr zu tun hat. Dabei tut sich mehr als nur ein menschlicher Abgrund auf. Atmosphärisch dicht erzählt – typisch skandinavisch. (E.B.)

Veronika Rusch: Die Spur der Grausamkeit

Piper, 12,90 €

Der zweite Band der Josephine-Baker-Verschwörung hält, was schon der erste Band, der im Berlin der 1920er Jahre spielte, versprach: eine atmosphärische Zeitreise, Hochspannung und äußerst interessante Charaktere. Dieses Mal wird die berühmte Tänzerin in Wien erwartet. Wir schreiben das Jahr 1928. Gleich bei Josephine Bakers Ankunft in der Stadt fällt ein rätselhafter Schuss. Als kurz darauf die grausam zugerichtete Leiche eines Mannes gefunden wird, begreift Bakers alter Weggefährte (und mehr), dass die Verschwörer noch nicht aufgegeben haben. Nowak muss sie aufhalten, koste es, was es wolle.

Gekonnt verwebt Veronika Rusch Fakten und Fiktion, entwickelt ihre starken Figuren weiter und entfaltet einen Lesesog, der dem geneigten Leser auf vergnügliche Weise so einige Stunden der Nachtruhe stiehlt. Aber das ist es allemal wert. Ein höchst lesenswerter historischer Kriminalroman. Der 3. Band erscheint im Herbst 2021. (E.B.)

Ian McGuire: Der Abstinent

dtv, 23 €

Seit Jahrhunderten existiert direkt vor unserer Haustür, hier in Westeuropa, ein Konflikt, von dem eigentlich in Deutschland kaum jemand noch mehr so recht Notiz nimmt. In Nordirland sind tausende Menschen gestorben. Auf (nord-)irischen Boden und anderswo auf der Welt. Ian McGuire ersinnt vor dem Hintergrund der von irischen Nationalisten genannten Geschichte der „Manchester Martyrs“ eine fesselnde Geschichte mit reichlich Noir-Elementen.

Manchester, 1867. Im Morgengrauen hängen die Rebellen. Die englische Polizei wirft ihnen vor, die „Fenians“, irische Unabhängigkeitskämpfer, zu unterstützen. Eine gefährliche Machtdemonstration seines Vorgesetzten, findet Constable James O’Connor, der gerade aus Dublin nach Manchester versetzt wurde. Einst hieß es, er sei der klügste Mann der Stadt gewesen. Das war, bevor er seine Frau verlor, bevor er sich dem Whiskey hingab. Mittlerweile rührt er keinen Tropfen mehr an. Doch jetzt sinnen die „Fenians“ nach Rache. Der Kriegsveteran Stephen Doyle, amerikanischer Ire und vom Kämpfen besessen, heftet sich an O’Connors Fersen. Ein Kampf beginnt, der O’Connor tief hineinzieht in einen Strudel aus Verrat, Schuld und Gewalt. Und am Ende wird klar, warum dieser Konflikt wahrscheinlich nie beendet sein wird. Es ist schon ein Fortschritt, wenn die Waffen schweigen. (E.B.)

Vera Buck: Der Algorithmus der Menschlichkeit

Limes, 20 €

Es ist ein großartiges Gedankenspiel, das Vera Buck in ihrem Roman anstellt. Maris Job ist es, Menschen glücklich zu machen. Und das gelingt ihr perfekt. Denn sie ist gespenstisch makellos, hat aber offenbar nicht sonderlich viel Humor. Eine autistische Störung? Nein, die Antwort ist recht einfach. Sie ist kein Mensch, sonder Künstliche Intelligenz in Menschengestalt. Das erklärt auch ihre unfassbare Geduld mit den Kunden, auf die sie in dem schäbigen Fembot-Bordell trifft. Doch als eines Tages ein Kinderbot einzieht, tötet Mari den Freier, denn der Algorithmus sagt, dass Kinder immer ge- und beschützt werden müssen. Zwar wird der fragliche Mann von Mari wiederbelebt, aber sie muss dennoch fliehen und landet in einer Berliner Wohnung mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen Menschen, darunter der rebellischen Bloggerin Frieda und dem einsamen Studenten Linus. Die Geschichte ist sehr unterhaltsam, zuweilen skurril, aber die ethischen Fragen dahinter dennoch ernst. Wo sind die ethischen Grenzen der KI und was macht unser Menschsein eigentlich aus? Vera Buck gibt Stoff zum Nachdenken. (E.B.)

Jessica Barry: Nachtflucht

dtv, 15,90 €

Die Story beginnt rätselhaft. Zwei Frauen fahren nachts durch die gottverlassene Wüste von New Mexiko. Sie sind sich nie zuvor begegnet. Jede hat ihre Geschichte und ihr dunkles Geheimnis, warum sie auf diesem Roadtrip ist. Aber sie haben ein gemeinsames Ziel. Plötzlich durchbrechen Scheinwerfer die finstere Nacht. Ein Auto versucht, die beiden Frauen von der Straße abzudrängen. Wer weiß von ihrem Plan? Und wem von beiden gilt der Anschlag, der in dieser Nacht nicht der letzte sein wird. Eins steht fest, wenn sie diese Reise überleben wollen, müssen sie einander vertrauen …

Ungeheuer spannend, Schon in ihrem Vorgänger-Krimi hat Jessica Barry ihr besonderes Talent in Sachen Thriller-Quaöität unter Beweis gestellt. (E.B)

Eva Völler: Eine Sehnsucht nach morgen

Lübbe, 14,90 €

Mit dem 3. Band endet Eva Völlers Zeitreise. Hat sie uns mit dem Leben von starken Frauen in den 1950er und 1960er Jahren bekannt gemacht, so führt sie das Finale der Ruhrpott-Saga in das legendäre Jahr 1968. Geprägt von Flowerpower, Studentenbewegung und Arbeitskampf. Als Bärbel nach dem Medizinstudium in ihre Heimatstadt Essen zurückkehrt, spiegelt sich die Zerrissenheit der Gesellschaft auch in ihrer eigenen Familie wider: Die Schwester und ihr Schwager kämpfen mit privaten und beruflichen Schwierigkeiten, für die es keine Lösung zu geben scheint, und ihr Bruder setzt mit politischen Aktionen seine Zukunft aufs Spiel. Doch vor dem größten Problem steht Bärbel selbst, als sie den Mann wiedersieht, den sie früher für die Liebe ihres Lebens hielt. (E.B.)