BIELEFELDS FAHRRADHISTORIE

Klarer Fall: Dr. Wilhelm Stratmann ist nicht nur in Sachen Fahrradhistorie sattelfest. Fahrräder ziehen sich wie ein roter Faden durch den Alltag des Museumsleiters. Er betreibt Triathlon als Wettkampfsport, beim Weg zur Arbeit tritt er ebenfalls in die Pedale und im Historischen Museum machen Räder einen großen Teil der industriegeschichtlichen Sammlung aus.

Die gerade viel diskutierte Verkehrswende interessiert Dr. Wilhelm Stratmann ebenso wie Bielefelds spannende Vergangenheit als Fahrradstadt. „Nicht so doll“, lautet seine lakonische Antwort auf die Frage, wie er die Situation für Radfahrer in der Stadt einschätzt. „Ohne Helm würde ich nie fahren und gerade montags ist oft so viel los, dass ich den Autoverkehr lieber meide und eine Ausweichstrecke durch Grünzüge wähle.“ Allerdings sieht er gerade eine Riesen-Chance fürs Rad, unter anderem durch den Boom der E-Bikes und ihren Einfluss auf den innerstädtischen Verkehr. Diese sind übrigens keine komplett neue Erfindung. Räder mit Hilfsmotor (allerdings nicht elektrisch) gab es schon vor hundert Jahren. Und auch die modernen Lastenräder haben in den Bäckereirädern historische Vorbilder. „Spannend finde ich, dass sich gerade eine Firma aus Dänemark am Kardanantrieb versucht, damit hat schon Dürkopp experimentiert, weil Ketten die Kleidung verschmutzten, abspringen und reißen konnten“,
weiß der Museumsleiter.
Die Räder mit Kardanwelle zählen zu den ungewöhnlichsten Stücken der Sammlung, die etwa 250 ausstellbare Räder umfasst. Vom imposanten, in der Dauerausstellung gezeigten Hochrad bis zu Rädern aus den 1980ern. „Wir sammeln ja vor allem Bielefelder Hersteller und danach haben diese weitestgehend aufgehört zu produzieren“, erklärt der Museumsleiter. Auch zu seiner privaten Sammlung zählt ein Rad made in Bielefeld – ein Rabeneick-Rennrad aus den 50er Jahren.

Überhaupt interessiert sich Dr. Wilhelm Stratmann sehr für die Radsportvergangenheit der Stadt. „Die Rennradproduktion hat eine lange Tradition in Bielefeld. Dürkopp, Göricke und Rabeneick haben schon vor dem ersten Weltkrieg Rennräder hergestellt. Anfangs ging es dabei immer darum, Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen.
In den 30ern entwickelte sich Bielefeld zum überregionalen Standort für Radrennen und es gab mehrere Werkteams.“ Einer der bekanntesten Radsportheroen der Stadt ist Willi Postler. „Er war ein talentierter junger Radfahrer aus dem Ruhrgebiet, der von Göricke als Mechaniker eingestellt, aber zwei Tage in der Woche zum Training freigestellt wurde.“ Ein Trick, damit er als Mitglied der Werksmannschaft zwar als Amateur galt, aber doch professionell trainieren konnte. „Seine besten Jahre hat er durch den 2. Weltkrieg verloren, später aber ein Fahrradgeschäft am Kesselbrink gegründet und selbst Räder gebaut. Von ihm haben wir zwei Räder in der Sammlung. Und er hat uns seine Siegerschärpen vermacht.“ Dass der Radsport in der Stadt bis in die 50er

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Jahre mindestens so populär war wie Fußball, wissen heute nur noch die älteren Bielefelder. „Es gab eine Deutschlandtour, da war Bielefeld Etappenzielort. Ein Film auf Youtube zeigt, wie damals Tausende zuguckten.“ Das ist ebenso Vergangenheit wie die blühende Fahrradindustrie, deren Niedergang mit dem Aufkommen des Autos einherging. Aber wer weiß, vielleicht kehrt mit der Verkehrswende ja auch die Begeisterung für den Radsport zurück. Die 1953 eröffnete und heute unter Denkmalschutz stehende Radrennbahn jedenfalls steht bereit.