Jost Hinrich Streitbörger & Lorna Egan

Und darum geht’s: Auf dem Weg zur Schule hat Carla einen folgenschweren Zusammenstoß mit der gleichaltrigen Gilla und landet mal wieder im Krankenhaus. Eigentlich müsste Carla schwer sauer auf Gilla sein, der der Unfall echt leidtut. Deshalb besucht sie die junge Patientin so oft es geht in der Klinik. Sie freunden sich an und teilen eine Leidenschaft: Krimis. Und wie der Zufall so will, kommen auf Carlas Station immer wieder wertvolle Gegenstände der Patienten abhanden. Kurzerhand nehmen die beiden couragierten Mädels die Dinge in die Hand. Sie wollen die Diebstahlserie aufklären und kommen dem Täter dabei gefährlich nah.

So weit die Fiktion. Im echten Leben kennt sich Jost Hinrich Streitbörger mit der Glasknochenkrankheit – Osteogenesis imperfecta – leider sehr gut aus, denn seine Tochter ist an OI erkrankt. „Die echte Carla kam schon mit zwei Knochenbrüchen zur Welt“, berichtet er. „Durchschnittlich hat sie sich ein bis zwei Mal im Jahr etwas gebrochen und wir haben sehr viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Die Zeit dort vergeht quälend langsam. Vor allem vor Smartphones, Tablets und Co. Als Carla noch jünger war, habe ich mir Geschichten ausgedacht und sie ihr erzählt.“ Das war der Grundstein zu dem fast 150 Seiten starken Kinderbuch, das im Bielefelder CalmeMara Verlag erschienen ist. Die Geschichte lag eigentlich schon seit zehn Jahren in der Schublade. Das Schreiben für Kinder fiel dem promovierten Juristen leicht, obgleich „Diagnose Diebstahl“ sein erstes Buch ist. „Zu Beginn meiner Berufstätigkeit vor 30 Jahren hatte ich einen Mentor, der darauf achtete, dass Schriftsätze möglichst verständlich abgefasst wurden. Und das handhaben wir auch heute in der Kanzlei mit jungen Kollegen so. Die Devise ist: Schreibt möglichst einfach“, so Streitbörger, der das Pseudonym Jost Hinrich gewählt hat, und von den Illustrationen von Lorna Egan begeistert ist. „Mit meinem Nachnamen kauft doch keiner ein Kinderbuch“, lacht der dreifache Vater. In seinem Beruf als Rechtsanwalt ist der Name sicherlich nicht hinderlich.

MUT MACHEN

Mit Krankenhaus-Aufenthalten hat die Familie Streitbörger viel Erfahrung gesammelt. „Die langen Wartezeiten in der Radiologie und zum Teil sehr empathisches, manchmal auch weniger nettes Personal haben wir erlebt. Das habe ich mir für das Buch nicht alles ausgedacht.“ Die Arbeit an „Diagnose Diebstahl“ war auch eine Möglichkeit, sich mit der oftmals von Sorgen um die Tochter Carla geprägten Zeit auseinanderzusetzen – und anderen Familien, die in einer ähnlichen Situation sind, Mut zu machen. „Die echte Carla ist jetzt 19, sitzt nicht im Rollstuhl, studiert Medizin in Köln und führt ein weitgehend normales Leben. Den besten Rat hat uns damals ein Arzt gegeben, der uns davor warnte, unsere Tochter in Watte zu packen. Und das haben wir beherzigt, auch wenn uns das oftmals schwerfiel. Wir haben Carla immer so behandelt wie unsere anderen Kinder. Wie ihre Geschwister musste Carla in den Keller gehen, um eine Flasche Wasser zu holen. Manchmal haben meine Frau und ich mit angehaltenem Atem darauf gewartet, dass das gutgeht. Die Angst, dass Carla fallen und sich wieder etwas brechen könnte, war immer da.“

Zusammen mit seiner Tochter absolvierte Jost Hinrich Streitbörger seine Premierenlesung im Dorf Sentana. „Ein Paar mit seinem sechsjährigen Sohn, der auch unter OI leidet, hat die Gelegenheit genutzt, um Carla eingehend zu interviewen. Sie konnte der jungen Familie durch ihr eigenes Beispiel Kraft geben und vielleicht blicken sie nun etwas weniger sorgenvoll in die Zukunft. Das war ein sehr berührender Moment.“ ✔

Text: Eike Birck

Foto: Karoline Wolf, Illustration: Lorna Egan, CalmeMara Verlag