Haltbar bis Ende

„Hellmuths Lyrik ist eine echte Entdeckung“, sagt Reinhold Beckmann über den Bielefelder Autor und Lyriker. Der in Hamburg lebende Musiker, Journalist und Moderator – er war lange das Gesicht der ARD-„Sportschau“ und Gastgeber der Gesprächssendung ‚Beckmann‘-hat gerade seinen 65. Geburtstag gefeiert und mit „Haltbar bis Ende“ sein inzwischen drittes Album veröffentlicht. Ein Songtext stammt aus der Feder von Hellmuth Opitz – fünf weitere der insgesamt 11 Titel haben die beiden gemeinsam geschrieben. Zwei Gesprächspartner, bei denen die Chemie stimmt und die sich was zu sagen haben.

Herr Beckmann, lesen Sie gern Lyrik?

Reinhold Beckmann:
Ja, unbedingt. Lyrik habe ich vor zwei, drei Jahren für mich wieder neu entdeckt. Allerdings wird die Abteilung Poesie in den Buchläden immer schmaler , der Bereich Lebensberatung dagegen wächst. Yoga für Babys und angstfreies Töpfern sind wohl verkaufsträchtiger. Als ich dann zufällig auf Lyrik von Hellmuth gestoßen bin, habe mir gleich mehrere Bände mitgenommen.

Hellmuth Opitz:
Und dann hatte ich Reinhold am Hörer.

Reinhold Beckmann:
Genau. Ich wollte wissen, wer hinter den Zeilen steckt. Wir haben dann schnell festgestellt, dass wir musikalisch den gleichen Hausgötzen frönen.

Welchen genau?

Hellmuth Opitz:
Wir sind beide tief in den 1970ern verwurzelt. Dazu gehört neben Bob Dylan auch Joni Mitchell.

Reinhold Beckmann:
(er holt schnell ein Album von Joni Mitchell)… mit ihr verbindet mich eine unerfüllte einseitige Liebe. Anfang der 1980 habe ich nach einem Auftritt so richtig fanmäßig mit Blumen in der Hand auf Joni gewartet. Wir haben uns tatsächlich toll unterhalten, bis Larry Klein, ihr Ehemann und Bassist, sie nachdrücklich mit „Joni, it’s time to leave“ zum Gehen aufforderte. Komischerweise war ich nach der Begegnung irgendwie therapiert und habe erstmal lange Zeit keine Platte mehr von ihr aufgelegt. Bob Dylan dagegen blieb immer, und auch der Spaß, seine erhabenen Songtexte ins Deutsche zu übersetzen. Auf der neuen Platte wird „When The Deal Goes Down“ bei mir zu „Wenn’s vollbracht ist“ – das einzige Coverstück.

Was gefällt Ihnen an den Texten von Hellmuth Opitz?

Reinhold Beckmann:
Ich mag seine Bilder, sie scheinen manchmal beiläufig, fast alltäglich, und sind doch so kraftvoll. Wie bei dem Song „Evelyn“: „Große Kreuzung morgens um halbvier, Kehrmaschine, Nieselregen – du und ich schon wieder hier“. Dazu kommt, dass Hellmuth weiß, dass Texte klingen müssen, wenn sie gesungen werden. Sie brauchen ihren eigenen Sound und ihren Groove.

Hellmuth Opitz:
Reinhold hat ein feines Sensorium für Texte, er legt bei seinen Songs Wert auf klangliche Synchronität. Der Reim ist meist durchgängig da. Klar, da schreibe ich anders als bei freien Versen. Da kann ich eher phrasieren. Bei „Evelyn“ existierte der Melodiebogen, da musste der Text drauf passen. Bei anderen Titeln wie „Dirty Dörte“ oder „Immer nur die Schweiz“ war es umgekehrt. Immer aber ist es ein Prozess. Es braucht die Auseinandersetzung und es werden auch schon mal Zeilen oder ganze Strophen verworfen.

Reinhold Beckmann:
Wir haben die Tracks dann in kleiner Besetzung eingespielt: Gitarre, Kontrabass, Piano und Percussion. Und danach haben wir getrüffelt. An den vielen feinen Details erkennt man die Handschrift von Martin Gallop, dem Produzenten. Er weiß immer genau, wie das jeweilige Stück durch die Instrumentierung noch an Wirkung gewinnen kann. Der Klangteppich war angelegt, da musste ich mich am Ende gesanglich nur noch reinlegen.

Wie sind die Ideen zu den Songs entstanden?

Reinhold Beckmann:
Ganz unterschiedlich. Die Vorlage zu dem Song „Immer nur die Schweiz“ zum Beispiel lieferte ein Paar, das sich im öffentlichen Linienbus so richtig fetzte. Das war großes Theater, ich habe noch die finalen Worte im Ohr: „Mit Dir kann man überhaupt nicht streiten, Du bist immer so neutral“. Ich habe den Ball aufgenommen, die Gedanken wild weitergesponnen, die ersten Bilder zu Papier gebracht – und dann an Hellmuth geschickt.

Hellmuth Opitz:
Dadurch eröffnet sich gleich eine ganze Welt, das steckt den Claim ab. Das Texten ist aber immer ein Prozess. Ich ochse um jede Zeile. Dass es so aus dem Handgelenk fließt wie bei „Der Lack ist ab“ ist nicht die Regel. Da mussten wir kein einziges Wort verändern. Da wusste ich, wo es hingeht. Die Harmoniefolge war klar. Allerdings, wenn die erste Idee sofort überzeugt und mir etwas in den Schoß fällt, werde ich auch schon mal misstrauisch.

Herr Beckmann, Sie greifen in ihren Songs auch Persönliches auf …

Reinhold Beckmann:
Ja, bei dem Song „Vier Brüder“ thematisiere ich die Familiengeschichte meiner Mutter. An Festtagen saßen ihre vier Brüder, die sie im Krieg verloren hat, gedanklich immer mit an unserem Esstisch. Sie hat uns von ihnen erzählt. „Bitte keine Uniform mehr“, sagte sie immer. Leider hat sie den Song nicht mehr gehört, sie ist vor 15 Monaten verstorben.

Was ist Musik für Sie, Herr Beckmann?

Reinhold Beckmann:
Sie war schon immer mein Sehnsuchtsort – das Fernsehen ist einfach dazwischengekommen (lacht). Meine zwei älteren Brüder haben die Musik der 1960er ins Haus gebracht: von Chuck Berry bis zu den Beatles. Ich habe mit 15 begonnen, Gitarre zu spielen, später kam ein bisschen Schlagzeug dazu. Vor zehn Jahren haben zwei Musiker der Ina Müller Band mich gefragt, ob wir’s nicht einfach mal gemeinsam versuchen sollen. Sie haben damals einen wunden Punkt erwischt – ich hatte so viele Jahre die Musik in die zweite und dritte Reihe gestellt. Als ich merkte, wie gut es sich anfühlt, habe ich mein Leben umgekrempelt: Raus aus der Sportschau, raus aus der Talk-Show, ran an die Saiten. Ich genieße das jeden Tag.

„Haltbar bis Ende“ heißt das neue Album. Was steckt dahinter?

Reinhold Beckmann:
Erst sollte das Album „Auf Herz wär was gegangen“ heißen. Das war mir beim Skatspielen so rausgerutscht – aber richtig stimmig als Albumtitel hat es sich nie angefühlt. Beim Griff zur Hafermilch im Kühlschrank an einem Sonntagmorgen ist es dann passiert. Plötzlich war die Sache klar: Haltbar bis Ende – so stand es auf dem Deckelfalz.

Es soll natürlich auch Live-Auftritte geben. Wie plant man in Corona-Zeiten?

Reinhold Beckmann:
Immer wieder von vorn. Das kostet Kraft, man wird manchmal mürbe. Das Erfolgserlebnis bleibt aus. Dass die Kultur als letzte wieder öffnet nach dem Lockdown, einfach weggestellt wird, das ist ernüchternd.

Hellmuth Opitz:
Meine letzte Lesung war im Februar 2020. 18 Lesungen sind seither weggebrochen. Das Verfallsdatum stand mit jeder neuen Planung quasi schon drauf. Mitte April ist jetzt eine in Düsseldorf geplant …

Reinhold Beckmann:
Hellmuth, ich glaube, das kannst Du jetzt schon knicken. Aber wenn alles überstanden ist, dann machen wir einen Doppelauftritt, Musik und Lesung. Premiere ist in Bielefeld, was hältst Du davon?

Hellmuth Opitz:
Das ist eine Überlegung wert …