Veranstaltungsbranche retten

Eigentlich wäre normalerweise genau jetzt die Phase, in der das zehnköpfige Team von Provisuell überall in der Republik unterwegs wäre: Festival-Zeit. Nicht selten hat dann ein Arbeitstag auch mal 15 Stunden. Bühnentechnik muss aufgebaut, bedient- und wieder abgebaut werden. Stattdessen herrscht in der kompletten Veranstaltungsbranche Totalstillstand – und das seit März.

Selbst, wenn die Politik beschließt, dass zum Jahresende oder ab 2021 wieder größere Veranstaltungen stattfinden dürfen, bedeutet das nicht, dass wir auch direkt wieder Umsatz generieren. Denn Events haben häufig einen Vorlauf von sechs bis zwölf Monaten“, berichtet Sarah Stücker, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Mathias Schindler Provisuell führt. Das Bielefelder Unternehmen hat sich mit Projektionen, Lichttechnik und Spezialeffekten bundesweit einen Namen gemacht. Vor Corona waren die Auftragsbücher gut gefüllt und die Vorfreude auf die Saison 2020 war groß. „Innerhalb von 48 Stunden hagelte es eine Absageflut“, erinnert sich die Veranstaltungsmanagerin an die Tage im März. „100 Prozent Kurzarbeit, 100 Prozent Umsatzeinbußen. Es ging von 100 auf 0.“ Bislang konnten alle Mitarbeiter gehalten werden. Die Auszubildenden, die im August 2020 anfangen, beginnen nun mit Kurzarbeit. Eine Auszubildende, die gerade ihre Abschlussprüfung abgeschlossen hat, startet nun als Technikerin bei Provisuell mit Kurzarbeit. Die laufenden Kosten lasten schwer auf dem jungen Unternehmen. Die Soforthilfe deckt nur einen Bruchteil. Geschäftsführer Mathias Schindler ist seit März ohne Gehalt und musste ALGII beantragen. Sarah Stücker hat die Zeit der Spargelsaison genutzt, um auf einem Bielefelder Hof in einem systemrelevanten Beruf ihr Kurzarbeitergeld aufzustocken, denn die Familie muss versorgt und die Raten für das Haus müssen bezahlt werden. Vor einem KfW-Kredit scheuen sie noch zurück. „Wir können uns nicht noch mehr Kosten ans Bein binden, wenn es noch keinen Zeitpunkt für einen Restart gibt.

Weiter, immer weiter

Die gebürtige Lippstädterin ist keine Frau, die den Kopf in den Sand steckt. Schon früh in der Krise wandte sie sich immer wieder an die Presse, um auf die verheerende Situation in der Veranstaltungsbranche aufmerksam zu machen. Bei ihrem vielbeachteten Auftritt bei „hart aber fair“ mit Frank Plasberg überzeugte sie mit ihrer ruhigen und sachlichen Art. So gelang es ihr, dem zugeschalteten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zumindest die Ankündigung von Überbrückungshilfen für die Branche zu entlocken.

„Wir sind ein sehr großer Wirtschaftszweig, aber wir haben keine Lobby“, schildert die 37-Jährige das Dilemma. Bis September können wir noch durchhalten, danach wird es schwierig. Selbst wenn wir in Erwägung ziehen, unser technisches Equipment zu veräußern, es würde niemand zu einem angemessenen Preis kaufen. Was sollen die Mitarbeiter alternativ machen, wenn ihnen gekündigt werden muss? Was machen die Auszubildenden, wenn sie ihren Abschluss nicht mehr erreichen können?“ Sarah Stücker ist gut vernetzt, hält Kontakt zu den Kollegen. „Viele sitzen seit März zu Hause, haben ihre Fahrzeuge abgemeldet und sind vor lauter Existenzangst wie gelähmt.“ Auch die Veranstaltungsmanagerin kennt Tage, an denen der Kampf um das Unternehmen sinnlos erscheint. „Es ist manchmal schwierig, sich zu motivieren, wenn man so runtergefahren wird. Dann bin ich auch nach vier Stunden spargeln oder wenigen Telefonaten einfach platt. Diese Situation ist wesentlich anstrengender als ein „normaler“ Arbeitstag. Wir brauchen jetzt Planungssicherheit von der Politik.“ Und da ist er wieder – der Kampfgeist. Nach ihrer TV-Premiere bei „hart aber fair“ gab es viele positive Rückmeldungen und auch konkrete Angebote von Firmen, die gern nach der Krise mit Provisuell zusammenarbeiten möchten. „Das hält mich über Wasser und zeigt, dass ich etwas bewegen kann.“

Night of Light

Und das tut sie auch ganz konkret in Bielefeld. Mit einer gemeinschaftlichen Aktion vieler Dienstleister aus der Bielefelder Eventbranche.

Am 22.6. wurden genau um 23:55 große Teile der Stadt rot illuminiert. „Vor dem Rathaus präsentierten Schausteller und Eventausstatter plastisch, dass die Lage mehr als ernst ist. Deutschlandweit nahmen über 2.000 Unternehmen an dieser Aktion teil. Hier in Bielefeld waren es allein an die 30 Unternehmen, die sich gefreut haben, mit diese Non-Profit-Aktion endlich mal wieder ihrer Arbeit nachgehen zu können“, freut sich Sarah Stücker, die die Aktion als Demonstration angemeldet hat. „Hier geht es darum zu zeigen: „Wir müssen mehr Unterstützung bekommen und zwar schnell – es ist jetzt fünf vor zwölf.“