Agnieszka Salek

„Es ist mittlerweile 105 Jahre her, dass wir Frauen wählen und gewählt werden dürfen. Rechtlich sind wir mit Männern gleichgestellt. Daran sollten wir immer wieder erinnern“, sagt Agnieszka Salek mit Blick aufden Internationalen Frauentag am 8. März 2024. Obwohl viel erreicht wurde, blickt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt gerade kritisch auf Themen wie häusliche Gewalt oder Sexismus. Die Entwicklungen stimmen sie nachdenklich.

Agnieszka Salek

Sich für die Interessen von Frauen einzusetzen, ist für sie Beruf- und Herzensangelegenheit zugleich. „Wir Frauen haben viel erreicht, das sollten wir nicht verkennen“, betont die 47-Jährige, die seit gut drei Jahren die Gleichstellungsstelle leitet und sich differenziert mit Entwicklungen auseinandersetzt und Haltung zeigt. „Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist die häufigste Menschenrechtsverletzung auf der ganzen Welt. Auch in Deutschland.“

HÄUSLICHE GEWALT – EINE SPIRALE

In den Fokus rückt sie die aktuellen Zahlen zur häuslichen Gewalt. Sie steigen seit Jahren. „Das Lagebild ist besorgniserregend“, sagt Agnieszka Salek. Im Vergleich zu 2021 stieg die Zahl der Übergriffe in 2022 um 8,5 Prozent. In Zahlen ausgedrückt, sind also 240.547 Personen in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen. 71 Prozent der Opfer sind weiblich, 76 Prozent der Täter männlich. „Prügelnde Männer müssen mithilfe des Polizeigesetzes die Wohnung verlassen. Und das ist gut so“, formuliert die Bielefelderin. Das Gesetz ist eine wichtige Errungenschaft in der Frauenbewegung. Wer schlägt, muss gehen“, sagt sie weiter. Zumal in Deutschland stündlich allein 14 Frauen jeden Tag Opfer von Partnerschaftsgewalt werden. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder ein Ex-Partner sogar seine Frau zu töten. Und jeden dritten Tag wird eine Frau tatsächlich ermordet. „Das sind die erfassten Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, denn wenn Gewalt gegen Frauen nicht zur Anzeige gebracht wird, fließt sie auch nicht in diese Erhebungen ein“, erklärt Agnieszka Salek die aktuellen Studienergebnisse. „Vielmehr wird der Tod einer Frau oft als Familientragödie betrachtet.“ Eine Formulierung, mit der die Gleichstellungsbeauftragte konsequent aufräumen möchte: „Wir sollten aufhören Gewalt gegen Frauen als tragische Beziehungstat zu verharmlosen. Das sind Frauenmorde, also Femizide, und keine private Angelegenheit, sondern ein gesamtgesellschaftliches und sogar offensichtlich ein alltägliches Problem, um Macht gegenüber Frauen aufrechtzuerhalten.“ Für die 47-Jährige spiegeln die Zahlen ganz deutlich die Machtverhältnisse von Tätern und Betroffenen. „Solange es solche drastischen Zahlen gibt, können wir noch nicht von Gleichberechtigung oder sogar von Fairness sprechen“, resümiert sie. „Und auch Sexismus hat nichts mit Fairness zu tun und ist eine geschlechtsspezifische Benachteiligung und Menschenrechtsverletzung.“

SEXISMUS – EIN NÄHRBODEN FÜR GEWALT

Zwar gibt es zahlreiche Abkommen und Rechte, um Frauen und Mädchen zu schützen, doch häufig zeichnet die Realität ein anderes Bild. Weiblich gelesene Personen erfahren immer wieder persönliche Abwertung und Gewalt. Im öffentlichen Raum sind vor allem junge Frauen dem Cat Calling ausgesetzt. Eine aktuelle Studie liefert handfeste Zahlen. Allein 63 Prozent der befragten Frauen haben bereits sexistische Übergriffe erlebt. Bei Männern sind es dagegen 49 Prozent. „Die Übergriffe, ob auf der Straße, im beruflichen oder privaten Kontext, setzen sich auch im Netz fort“, weiß Agnieszka Salek. „70 Prozent – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Plan International aus 2020 – erleben im Netz Bedrohungen und Beleidigungen.“ Dabei geht es immer um Machtmissbrauch aufgrund des Geschlechts. „Sexismus ist ein Nährboden für Gewalt, das geht uns also alle an“, unterstreicht die Gleichstellungsbeauftragte.

SORGEARBEIT – EIN FRAUENTHEMA

Wenn es um Fairness und Gleichberechtigung von Frauen und Männern geht, ist auch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach wir vor ein Dauerthema. Zwar ist die Beschäftigungsquote von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland deutlich gestiegen, aber nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeitet nur jede achte Mutter (13 Prozent) mit einem Kind, das ein Jahr oder jünger ist. Bei Vätern sieht es ganz anders aus. Da liegt die Quote bei 87 Prozent. „Sorgearbeit ist also nach wie vor ein Frauenthema“, sagt Agnieszka Salek. „Es gehen zwar immer mehr Männer in Elternzeit, aber weniger lang. Auch wenn sich Eltern mit Kleinkindern (48 Prozent) wünschen, dass sie im gleichen Maß erwerbstätig sind und sich Haus- und Familienarbeit teilen.“ Interessant ist, dass sich die Einstellung durch Corona anscheinend verändert hat. Nachdem 2016 noch rund 60 Prozent der Väter sehr egalitäre Einstellungen hatte, waren es ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie nur noch 54 Prozent. Ein Zehntel weniger. „Väter haben den Stresstest nicht bestanden und machen eine Rolle rückwärts. Getreu dem Motto: ‚Mutti mehr, Vati weniger‘“, resümiert die Gleichstellungsbeauftragte.

Text, Foto: Corinna Bokermann