Bis zum 7. November finden in Bielefeld spannende und vielseitige Veranstaltungen im Rahmen der ersten Jüdischen Kulturtage statt. Die Veranstaltungsreihe gibt einen Einblick in die Bandbreite Jüdischer Kultur in Europa, Deutschland und Bielefeld. „Wir wollen Jüdische Kultur wieder in Erinnerung rufen und zeigen, dass sie im Jahr 2019 zum Bielefelder Leben gehört“, betonen die Initiatoren.

Synagoge an der Detmolder Straße (2009)

Beate Ehlers + Bernd Wagner: BRÜCKEN BAUEN

„Wir wollen Brücken bauen, das ist die Intention der Reihe. Und neugierig machen auf das, was da ist“, sagt Beate Ehlers mit Blick auf die ersten „Jüdischen Kulturtage in Bielefeld“. In ihren Händen laufen die organisatorischen Fäden zusammen. Ein knappes Jahr intensiver Arbeit steckt in der Veranstaltung. Im Dezember letzten Jahres fand das erste Treffen des Initiativkreises statt, zu dem auch der Bielefelder Historiker Bernd Wagner gehört.

Konzerte, Lesungen, Workshops und Vorträge. So lässt sich das Programm der ersten „Jüdischen Kulturtage in Bielefeld“ zusammenfassen, das bereits erste Spuren in der Stadt hinterlassen hat. Bernd Wagner eröffnete die Veranstaltungsreihe im September mit einem virtuellen Stadtrundgang. An unterschiedlichen Orten setzt sich das vielfältige Programm jetzt noch bis November fort. Ein Forum zum Thema „Jiddische Sprache“ gehört ebenso dazu wie ein Workshop zu „Jiddischen Liedern“ oder ein Konzert des Trio Picon rund um Ramona Kozma. „Als ich mit Ramona Kozma – wir haben uns vor einem Jahr während einer Ausstellungseröffnung zur weiblichen Seite der 1968er Jahre kennengelernt – über jüdische Kultur gesprochen habe, war die Idee für die jüdischen Kulturtage geboren“, sagt Beate Ehlers von der Volkshochschule Bielefeld. Schnell waren die Kontakte zu den unterschiedlichen Akteuren – von der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld über die Deutsch-Israelische Gesellschaft bis hin zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit – geknüpft. „Alle haben spontan gesagt, dass sie mitmachen“, freut sich Beate Ehlers, die die Organisation und Koordination übernahm und auch den Historischen Verein Ravensberg, das Historische Museum und das Stadtarchiv mit ins Boot holte.

Das Portemonnaie sollte keine Schranke sein. Man muss einfach nur die Beine in die Hand nehmen.

Beate Ehlers und Bernd Wagner

„Der Austausch war von Anfang sehr spannend“, betont die 60-Jährige. Impulse und Ideen kamen von allen Seiten. Ebenso profitiert das neue Format von der Expertise seiner Akteure. Bernd Wagner, Historiker im Bielefelder Stadtarchiv, beschäftigt sich u. a. mit dem jüdischen Leben in Bielefeld. „Es ist in Bielefeld seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar. Katholiken und Juden und seit der Reformation Protestanten bildeten über Jahrhunderte die Stadtgesellschaft. Es ist eine Geschichte von Ausgrenzung, Verfolgung und Akzeptanz. Zu sehen, was war vor 1933 da und was ist verloren gegangen, ist spannend“, so der 64-Jährige. Die jüdische Kultur ohne Antisemitismus und ohne Klischees in den Fokus zu rücken, ist ihm im Rahmen der Kulturtage wichtig. „Jüdisches Leben gab und gibt es in Bielefeld. Traditionen zu zeigen, auch die, die uns fremd sind, steht im Vordergrund“, fügt Beate Ehlers hinzu. Auch sie hat während der Organisation Vieles dazu gelernt. Das Wissen um die unterschiedlichen Feiertage hatte sie dank eines interreligiösen Kalenders im Blick. „Aber wer weiß schon, dass Begriffe wie ‚schmusen‘ oder ‚Malocher‘, die wir in unsere Alltagssprache übernommen haben, aus dem Jiddischen stammen“, so die 60-Jährige. Sie freut sich auf Veranstaltungen, die sich als Workshop mit Lyrik in Wort und Ton oder als Vortrag zur Umgangs- und Literatursprache mit dem Thema befassen. Bis auf den Workshop sind die Angebote kostenlos. „Das Portemonnaie sollte keine Schranke sein. Man muss einfach nur die Beine in die Hand nehmen“, sind sich Beate Ehlers und Bernd Wagner einig. Bernd Wagner hat sich vorgenommen, alle Veranstaltungen zu besuchen. „Vor allem, da ich Musik leidenschaftlich liebe, Gitarre spiele und im Chor bin.“

Ramona Kozma: TRIO PICON

„Das Instrument hat mich gefunden“, lacht Ramona Kozma. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Dabei ist die Musikerin, die als Kind Klavier spielte, relativ spät zum Akkordeon gekommen. „Erst während des Studiums, da war ich 21, hat mir mein jetziger Mann ein Akkordeon in die Hand gedrückt.“ Später erfuhr sie, dass sie nicht die erste Akkordeonspielerin in ihrer Familie ist. So ist es vielleicht kein Zufall, dass Ramona Kozmas Interesse an Geschichte und Musik eng miteinander verknüpft sind. Seit 12 Jahren macht die 36-Jährige mittlerweile Musik. Los ging’s mit dem immer noch aktiven Kozma Orkestar und seinem extrem tanzbaren Balkan- Sound, das sie während ihres Studiums von Kunst, Musik und Germanistik in Bielefeld gründete.

Irgendwann stieß sie dann auf Klezmer, eine traditionelle jüdische Musik. „Diese Musik hat mich gepackt und berührt, ich finde sie wunderschön“, unterstreicht Ramona Kozma. Und so entstand gemeinsam mit der Klarinettistin Hannah Heuking und dem Tubisten Michael Zimmermann das Trio Picon. Neben Klezmer spielen die drei, manchmal unterstützt von Gästen wie Mike Turnbull, auch jiddischen Tango. „Der stammt aus den 20ern, als von Warschau über Berlin bis Paris Tango en vogue war. Polnisch-jüdische Komponisten haben erst die Musik aus Argentinien adaptiert und dann eigene Tangos geschrieben. Wir fanden das toll und es passt zu uns und der Besetzung.“ Der Name des Trios wiederum bezieht sich auf die amerikanisch-jüdische Sängerin Molly Picon, die sich für den Erhalt der jiddischen Kultur und Sprache einsetzte. „Über die Musik kommt man automatisch dazu, mehr über die Hintergründe jüdischer Kultur wissen zu wollen“, sagt Ramona Kozma. Die Sängerin und Akkordeonspielerin ist selbst in Dortmund geboren, aber ihre Eltern kommen aus Polen. „Ich habe mich schon früh mit meiner polnisch-deutschen Familiengeschichte beschäftigt. Darüber bin ich zwangsläufig auch auf die Verbrechen im zweiten Weltkrieg und die Shoah gestoßen. Ich wollte verstehen, was damals passiert ist und wie es sein kann, dass Menschen sich so etwas antun.“ Die Musik hat ihr noch einmal ganz eigene Seiten der jüdischen Kultur eröffnet. Etwa durch die jiddischen Texte der Lieder. Um die singen zu können, hat sie sich viele Originalaufnahmen angehört und Workshops besucht. Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage bietet Ramona Kozma unter dem Motto „Sheyne lidlech“ jetzt selbst einen Schnupperworkshop an. Aber auch während der Konzerte ist es ihr wichtig, etwas über die Entstehungsgeschichte der jiddischen Lieder zu erzählen. „Grade deshalb finde ich auch die jüdischen Kulturtage so schön, die mehr Hintergrund liefern. Außerdem wollen wir bewusst nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern gucken, was es heute gibt. Ich finde es toll, die Möglichkeit zu haben, Künstler nach Bielefeld zu holen, die noch nie hier waren, zum Beispiel die Musikerin Andrea Pancur mit ihrem Projekt ‚Alpen Klezmer‘.“ Natürlich wünscht sich die Musikerin, die selbst auch auf der Veranstalterseite steht, ein großes Interesse an den Jüdischen Kulturtagen. „Aber ein Teil ist schon erreicht, weil wir verschiedene Gruppen und Initiativen an einem Tisch haben, das ist ein Gewinn. Und ich hoffe, dass wir gemeinsam vielen Menschen Impulse geben, über das jüdische Leben nachzudenken.“

Auf einen Blick:

Workshop Jiddische Lieder mit Ramona Kozma, 5.10., 10-13.15 Uhr, VHS, Raum 240, Ravensberger Park 1

Themenabend „Jiddische Sprache“ Vortrag mit Dr. Jasmina Huber, Lehrbeauftragte für Jiddisch an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 6.10., 17 Uhr Synagoge „Beit Tikwa“, Detmolder Straße 107

Alpen Klezmer – Zum Meer – Bayrisch * jiddisch* Wuid und koscher – mit Andrea Pancur & Hansjörg Gehring, 2.11., 19.30 Uhr, Historischer Saal der VHS

Abschlusskonzert mit dem Trio Picon & friends 7.11., 19 Uhr, Historischer Saal der VHS

www.juedische-kulturtage.bielefeld.weebly.com