Mit dem Fahrrad reisen. Das ist inzwischen schwer angesagt. Viele haben den Urlaub auf dem Rad Corona-bedingt für sich neu entdeckt. 77 Prozent, die 2020 eine Radreise gemacht haben, planen auch in diesem Jahr eine. Bewegung, Kultur und Genuss heißt der Dreiklang, mit dem es auf zwei Reifen vorwärts geht. Ob spontan oder sorgfältig geplant, ob selbst zusammengestellt oder als Rundreise mit Rundum-sorglos Paket gebucht, die nachhaltige Urlaubsvariante entschleunigt und überrascht mit ganz neuen Perspektiven auf die eigene Heimat.

Auf Radfernwegen ist der Weg das Ziel. In mehreren Etappen mit wechselnden Unterkünften können Radurlauber oft gleich mehrere Regionen oder gar Bundesländer durchqueren und bereisen. Entlang von Flüssen oder einem bestimmten Thema gewidmete Radfernwege eröffnen abwechslungsreiche Landschaften, Kulturen und Begegnungen. Ob Strecken- oder Sternentour ist dabei eine entscheidende Frage. Denn bei einer Streckentour wechselt man jede Nacht die Unterkunft, bei einer Sternentour führen die Tagestouren von einer festen Unterkunft aus in die Umgebung. „Da ist in Corona-Zeiten etwas mehr Planung als sonst notwendig“, sagt Hans-Ulrich Pohl, Vorstandsmitglied und Pressesprecher des Bielefelder ADFC, mit Blick auf die Übernachtungsmöglichkeiten.
Die Frage, wohin es mit dem Rad gehen soll, steht am Anfang jeder Planung. „Jedes Bundesland, jede Region hat attraktive Routen“, betont der 65-Jährige, der schon in den 1980er Jahren Radurlaube gemacht hat, als es noch gar kein Trend war. Ganz klar vorn lagen im letzten Jahr bei den Streckentouren, schaut man sich die aktuellen Zahlen der jährlich erscheinenden Radreiseanalyse des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) an, der Elbe-Radweg mit 8,1 Prozent. 6,2 Prozent favorisierten den Weser-Radweg während 4,9 Prozent den Ostseeküsten-Radweg ganz weit oben auf die Liste ihrer Lieblingstouren wählten. „Dicht gefolgt vom Main-Radweg“, so der Radexperte vom ADFC.
Zu den beliebtesten Sternentouren zählen dagegen Ost-Holstein gefolgt vom Bodenseegebiet. Den dritten Platzbelegt das Münsterland. „Kein Wunder“, so der Bielefelder, „die Region ist eben und eignet sich daher auch gut für Touren mit Kindern.“ Schließlich soll der Urlaub ja keine Tortur werden.

FÜR 51 PROZENT IST EINE RADREISE DER HAUPTURLAUB.

Ein spezieller Blick auf die Bedürfnisse der Kinder – entsprechend ihres Alters – ist daher ein guter Tipp, um als Familie eine entspannte Urlaubszeit miteinander zu verbringen. Die umfasst im Durschnitt übrigens rund sieben Tage. Interessant ist es, dass sich die meisten, die eine Radtour planen, erst relativ kurz vor der Tour Gedanken darüber machen, wohin es gehen soll. „Da im letzten Jahr viele Reisen kurzfristig storniert wurden, kamen für viele als Alternative Radreisen auf den Plan“, so Hans-Ulrich Pohl. Gleichzeitig ist ein neuer Trend entstanden: #AbseitsRadeln heißt er. Jeder wollte Hotspots – auch bei Radreisen – meiden. Das Radfahren abseits der großen Touristenströme hat seitdem Konjunktur. Das setzt allerdings voraus, dass man doch etwas detaillierter planen muss – auch und vor allem, wenn es um Übernachtungen geht.
Grenzenloses Radvergnügen finden die meisten in den Niederlanden. „Unser Nachbarland ist eines der beliebtesten Ziele, es ist ein absolutes Radland“, so Hans-Ulrich Pohl. Allein 13,6 Prozent Radreisende sprechen dafür. Nicht nur die fehlenden Berge erleichtern das in die Pedale treten. Auch die Navigation ist durch das bewährte Knotenpunktsystem einfach. Man muss nicht lange planen, sondern fährt einfach die Nummern in der gewünschten Reihenfolge ab. Gleich auf Platz zwei auf der Beliebtheitsskala rangiert – trotz vieler Höhen und Tiefen – Österreich. Mit 12,2 Prozent liegt es weit vor Italien, Frankreich und Spanien. Mit allein rund 250 ausgeschilderte Radfernwegen, unzähligen Themenrouten und lokalen Radrouten, die unter anderem von den Touristenverbänden angeboten werden, punktet Deutschland.

„Viele informieren sich zunächst im Netz, um einen ersten Eindruck zu bekommen und gehen danach in die Tiefe“, erklärt Hans-Ulrich Pohl. Überhaupt, die digitale Planung von Radreisen ist längst Alltag. Bleibt man in NRW empfiehlt sich der Radtourenplaner NRW (www.radroutenplaner.nrw.de). Seit 2003 im Netz wird er ständig gepflegt und weiterentwickelt. Neben einem Planer, mit dem man Routen individuell organisieren und auch hinsichtlich Beschaffenheit, Streckenführung oder Schwierigkeit filtern kann, findet man hier auch verschiedenste Themenrouten. Viele bieten sich als Tagestouren an: Von der 100 Schlösser Route – eine Entdeckungsreise durch die Parklandschaft des Münsterlandes zu Gräftenhöfen, Herrensitzen und Wasserschlössern – über spezielle E-Bike-Routen, wie Bergisch hoch 4, die durch abwechslungsreiche Landschaften des südlichen Bergischen Landes im RheinSieg-Kreis führen, bis hin zu einer kurzen Familientour „Nümbrecht“ mit geringen Höhenunterschieden.
Oder man wählt gleich überregionale Touren mit mehreren Etappen aus, die zum Beispiel durchs Bergische Land, Eifel und Aachen, Münsterland oder Siegerland Wittgenstein führen. 30 Prozent aller Radreisenden sind übrigens inzwischen mit E-Bikes unterwegs.

Auch der ADFC versorgt Radurlauber mit wertvollen Tipps (www.adfc-radtourismus.de) und bietet unterschiedlichste Such- und Planungsoptionen. Von der individuell geplanten Radreise bis hin zu einer Auswahl zertifizierter Radregionen und Routen. Bis zu fünf Sterne zeigen an, welche Qualität Radwanderern auf einer Route – auch gefiltert nach dem gewünschten Bundesland – geboten wird. Denn bei einer Radreise ist bekanntlich der Weg das eigentliche Ziel. „Steinzeitkunst vor Talkulisse“, unter dieser Überschrift steht zum Beispiel eine 4-Sterne-ADFC-Qualitätsradroute. Bei der Albtäler Radtour, die in fünf Etappen durch die schönsten Täler der Schwäbischen Alb führt, gibt’s viel zu entdecken: Höhlen und Eiszeitkunst, die zum Unesco-Welterbe gehören. Allerdings: Die Strecken halten einige sportliche Anstiege bereit, doch sind die geschafft, laden auch zwei Thermalbäder zum Entspannen auf dem Rundkurs ein. Mit fünf Sternen dürfen sich vier Touren in Deutschland und Österreich schmücken. Das Liebliche Taubertal, der Neusiedler See Radweg, die Schlossparkrunde im Allgäu und der Drauradweg, der vier Länder – Italien, Österreich, Slowenien und Kroatien – verbindet, zählen dazu. Insgesamt erhielten 23 Routen vier, 12 weitere drei Sterne. Regionen, die nachhaltig die Planung ihrer Radwege und eines darauf abgestimmten touristischen Angebots über Jahre vorangetrieben haben, tragen außerdem die Qualitätsauszeichnung „ADFC-RadReiseRegion“.

77 PROZENT DIE 2020 EINE RADREISE GEMACHT HABEN, PLANEN AUCH 2021 EINE.

„Fährt man mit Kindern sollte bei 35 km pro Tag Schluss sein, Erwachsene schaffen auch 50 bis 60 Kilometer abhängig von den körperlichen Möglichkeiten“, so Hans-Ulrich Pohl mit Blick auf die tägliche Touren länge, die sich auch mittels Filterfunktion ermitteln lässt. Inspirationen für weitere Touren liefert auch das Magazin „Deutschland per Rad entdecken“, es ist kostenlos beim ADFC erhältlich.
Alle zertifizierten fahrradfreundlichen Gastbetriebe werden seit 2016 auf einer kostenlosen, online-basierten Bett+Bike-App tagesaktuell aufgeführt. Und ein „Bike+Ride-Routing“ erleichtert die Planungen, wenn man An- und/ oder Abreise zu einer Tour mit öffentlichen Verkehrsmitteln optimal berechnen möchte. Wer in der Hauptsaison unterwegs ist, sollte auch die Unterkünfte bereits im Vorfeld festmachen.

Auch auf lokalen Webseiten entlang der geplanten Route wird man fündig. Wer keine Zeit und Lust hat, sich eine Radreise individuell zusammenzustellen, findet bei Touristenverbänden und Reiseveranstaltern entsprechende Angebote und ein Rundum-sorglos-Paket inklusive Hotelbuchung, bequemen Gepäcktransport von Hotel zu Hotel, Routenplanung, Pannenservice und sogar Leihräder. „Man fährt – da nur mit Tagesgepäck bepackt – schneller und leichter“, so Hans-Ulrich Pohl. Doch egal, ob individuell ausgearbeitet, einer vorgeschlagenen Tour folgend oder als Tourismus-Tour organisiert – rollt man erst einmal mit dem Bike durchs Land, braucht es auch eine Navigation. „Es gibt immer Radfahrer, die bevorzugen nach wie vor die Karte“, so Hans-Ulrich Pohl. Vom Bielefelder bva gibt es Material im Maßstab 1: 150.000 oder 1:75.000. Die digitalen Möglichkeiten der Navigation, egal ob über Smartphones, Apps oder GPS-Geräte, sind vielfältig, wachsen ständig und bieten zuverlässige Navigation, Echtzeit-Verkehrsinformation und aktuelles Kartenmaterial (z. B. Komoot, outdooractive, bikemap, Naviki, maps.me)
Wenn die Route steht, muss auch noch das Rad für die Tour fit gemacht werden und auch die Überlegung „Was bekomme ich auf dem Rad überhaupt an Gepäck mit“ steht spätestens dann auf der To-Do-Liste. „Das Gewicht sollte man im Auge behalten, das merkt man spätestens am nächsten Berg“, wissen erfahrene Radreisende. Die Faustregel autet: maximal 40 kg Gepäck, verteilt auf zwei Packtaschen am Gepäckträger, eine Packrolle und eine Lenkertasche, in der sich all das befindet, auf das man schnell zugreifen muss.

Gepackt wird nach dem Motto: Schweres nach unten, Leichtes nach oben. Wichtig: Man sollte die Höchstbelastung des eigenen Rades kennen. Sich auf das Notwendigste zu beschränken, gilt besonders dann, wenn man keine organisierte Tour macht, bei der das Gepäck von Unterkunft zu Unterkunft gebracht wird. Auf jeden Fall aber sollten alle Packsysteme wasserdicht sein, sonst gibt’s böse Überraschungen. Denn irgendwann regnet es immer. Selbstverständlich dürfte es allerdings sein, dass das Rad vor einer Radreise gut gewartet an den Start geht. Und wer mit seiner Idee, mit dem Rad Urlaub zu machen, noch allein ist: Es gibt eine Mitradel-Zentrale des ADFC, die Abhilfe schafft.

KASIMIR KOHLHAGE
Zweiradmechaniker

Ich stamme aus Thüringen und war schon als Kind nicht nur mit dem Rad in unserem Dorf unterwegs, sondern habe auch Radurlaube in Polen und Irland mit meiner Mutter unternommen. Heute bin ich mit dem Mountainbike am Wochenende oft im Sauerland unterwegs und mache meine Urlaube in der Alpenregion, aber auch auf Menorca oder am Gardasee. Meist sind es Sternfahrten. Man sieht einfach mehr, als wenn man mit dem Auto unterwegs ist und hat einen größeren Radius als zu Fuß. In Hotels für Biker liegen oft Streckenvorschläge aus oder ich nutze entsprechende Apps.

ANJA GELLERT UND CARSTEN STRAUCH
ADFC Bielefeld

Anfang der 2000er Jahre haben wir das erste Mal mit dem Rad Urlaub gemacht und Deutschland aus der langsamen Perpektive kennengelernt. Es ging in Etappen von Nord- bis Süddeutschland, von Flensburg bis zur Zugspitze. Absolut empfehlenswert ist auch ein Radurlaub in der Eifel: eine Wochentour von Aachen bis Trier an der Mosel und zurück in den Norden bis nach Remagen am Rhein. Das ist einfach eine großartige Tour, in abwechslungsreicher Landschaft, mit tollen Radwegen. Aber auch ein paar Steigungen sind zu bewältigen. Besonders sind die Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Fernradwege.

INGRID UND HEINZ-GUSTAF DINGERDISSEN
ADFC Bielefeld

Wir haben seit 1993 kein Auto mehr und machen bereits seit über 30 Jahren Radurlaube. Ende der 80er Jahren waren wir mit Kettler-AluRädern in der Lüneburger Heide. Das ist unvergessen. Der Altmühl-Radweg ist abseits des Autoverkehrs einer unserer Favoriten, ebenso wie der Oder-Radweg, der sehr naturnah ist. Entlang der Elbe gibt es kulturell mehr zu sehen, auch das ist wunderbar. Am liebsten sind wir inzwischen aber in den Niederlanden unterwegs – auch durch nach dem Knotenpunktsystem. Ansonsten gilt: eine gute Planung ist alles. Neben durchgecheckten Rädern, vorgebuchten Übernachtungen und dem ADFC-Pannenbrief, planen wir genau, was wir mitnehmen.

STEFAN MIELKE
Vorsitzender von Fahrräder
bewegen Bielefeld

Im Alltag bin ich viel mit dem Rad unterwegs, habe aber auch schon Urlaubsreisen auf dem Drahtesel hinter mir. Unvergessen ist eine Tour nach Concarneau, Bielefelds Partnerstadt. Gemeinsam mit einem Freund sind wir in 14 Tagen rund 1850 Kilometer geradelt. Wir haben historische Orte besucht, großartige Gastfreundschaft erlebt und einfach eine tolle Zeit gehabt.