Spannung, Drama, Liebe – das und noch viel mehr gilt es, zwischen zwei Buchdeckel zu entdecken.

Deniz Utlu – Vaters Meer

Suhrkamp, 25 €

Väter genießen in türkischen Familien einen ganz anderen Status als in deutschen Familien. Mehr Autorität, mehr Respekt. Was passiert also mit einem 13-jährigen Jungen, der erleben muss, wie sein Vater in kurzer Zeit zwei Schlaganfälle erleidet und zum Pflegefall wird? Trotz dieser Versehrung bleibt die Verehrung, auch später noch, wenn sich dieser Junge, mittlerweile im Studium, an Gespräche und Erlebnisse mit dem Vater erinnert. Und ganz allmählich entsteht so das warmherzige Porträt eines Mannes, der zwar oft abwesend und reizbar war, aber bedingt durch Umbrüche, Ortswechsel und  wirtschaftliche Zwangslagen auch auf ein Leben voller Herausforderungen zurückblicken konnte. Es gelingt Deniz Utlu, mit seiner eindrücklichen Sprache eine Unmittelbarkeit  herzustellen, die uns Leser*innen auch vom Gefühl her richtig packt. (H.O.)

Andreas Eschbach – Freiheitsgeld

Lübbe, 15 €

Wieder einmal wirft Andreas Eschbach einen höchst spannenden Blick in die Zukunft. Wir leben in einem Europa, in dem alle Bürger ein Freiheitsgeld beziehen – was in früheren Zeiten als bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert wurde. Denn die Digitalisierung ist so weit fortgeschritten, dass viele Arbeiten automatisiert erledigt werden. Wichtige Berufe, wie z. B. Pflegekräfte werden bestens entlohnt, weil diese nicht von Maschinen übernommen werden können und gesellschaftlich relevant sind. Für Professoren gibt es in dieser Dystopie für ihre Arbeit allenfalls ein Taschengeld. Die Verhältnisse haben sich verkehrt. Und die Menschen haben ein Einkommen und können entscheiden, ob sie durch Arbeit – sofern sie denn eine Stelle finden – ihr Freiheitsgeld aufstocken wollen. Aber ist das wirklich die Freiheit, die die Menschen glücklich macht? Auch in dieser zukünftigen Welt gibt es sehr reiche Menschen, die in gated communities leben und kaum oder keinen Kontakt zum ärmeren Teil der Bevölkerung haben. Einer von ihnen ist der hochbetagte Alt-Kanzler, der seinerzeit in beste Absicht das Freiheitsgeld eingeführt hat, um allen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Doch haben sich die Verhältnisse tatsächlich in die von ihm gewünschte Richtung entwickelt? Der ehemalige Politiker ist skeptisch und als er kurz bevor er zum 30-jährigen Jubiläum des Freiheitsgelds eine öffentliche Rede halten soll, tot aufgefunden wird, deutet alles auf Selbstmord hin.

Aber dann wird ausgerechnet der Journalist ermordet, der einst als der größte Gegenspieler des Exkanzlers galt. Ahmad Müller, ein junger Polizist, ist in die Ermittlungen um beide Fälle involviert – und sieht sich mit übermächtigen Kräften konfrontiert, die im Geheimen operieren und vor nichts zurückschrecken, um eine Aufklärung zu vereiteln. Andreas Eschbach ist ein großartiges Gedankenspiel gelungen, gepaart mit vielen rechnerischen Fakten rund um die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens und was ein solches „Freiheitsgeld“ mit einer Gesellschaft machen könnte. Denn eines steht fest: Testen kann man ein solches Freiheitsgeld unter realen Bedingungen nicht. Ein Buch, das viele Denkanstöße gibt; dabei unterhaltsam und spannend zugleich ist. Lesen! (E.B.)

Arttu Tuominen – Was wir nie verzeihen

Lübbe, 17 €

Auf einen fast 90-jähriger Mann werden in einer Pflegeeinrichtung gleich zwei Attentate verübt.  Albert Kangasharju überlebt beide Mordversuche – auch dank des beherzten Eingreifens von Kommissar Jari Paloviita. Wenig später wird ein zweiter hochbetagter Mann getötet. Die Umstände weisen daraufhin, dass es sich um eine höchst persönliche Angelegenheit handelt. Als Jari in der Wohnung des Opfers eine SS-Uniform findet, tauchen die Ermittler tief in ein sehr dunkles Kapitel der finnischen Geschichte ein, über das die meisten lieber Stillschweigen bewahren. Mit schonungsloser Offenheit schildert Arttu Tuominen die Beteiligung finnischer Freiwilliger in der SS an den Kriegsverbrechen der Nazis. Das ist ungeheuer eindrücklich und schockierend zugleich. Ein spannendes Buch zum Thema Schuld und Sühne. (E.B.)

Veronica Lando – Der flüsternde Abgrund

Suhrkamp, 18 €

Vor der Kulisse des tropischen Australiens hat Veronica Lando einen spannenden Thriller voller überraschender Wendungen entworfen. In Granite Creek geht der dichte Regenwald unvermittelt über in ein steil abfallendes Felsenmeer. Die Boulders, wie die Einheimischen die gewaltigen Gesteinsbrocken nennen, haben schon so manches Todesopfer gefordert: unbedarfte Wanderer oder auch sorglose Kinder und Jugendliche stürzten in die Tiefe. Obwohl sich Callum Haffenden aus gutem Grund geschworen hatte, nie wieder in seine Heimatstadt zurückzukehren, nimmt er die weite Reise aus Tasmanien in Kauf, um sich an der Suche nach einem vermissten jungen Mann zu beteiligen. Nach und nach enthüllt Veronica Lando, in welcher Beziehung Callum zu dem Vermissten steht und welche Bedeutung der 30 Jahre zurückliegende Fall eines verschwundenen Mädchens hat, dessen Konsequenzen bis in die Gegenwart reichen. (E.B.)

Andreas  Izquierdo – Kein guter Mann

Dumont, 24 €

Ein Buch, das eigentlich noch vor Weihnachten besprochen werden muss, aber egal. Der Postbote Walter ist wie ein Mann namens Ove: ein Grantler vor dem Herrn. Mit fast sechzig wird er strafversetzt in eine Abteilung für unzustellbare Briefe, genauer: in die Christkindfiliale nach Engelskirchen. Dort erreicht ihn eines Tages der Brief des 10-jährigen Ben, adressiert an den lieben Gott. Das passt, sagt sich Walter und antwortet dementsprechend. Ben ist ziemlich verzweifelt mit seinem dringlichen Anliegen und Walter kommt allmählich von seiner hohen Wolke herunter. Ist das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Der Roman, so vergnüglich er stellenweise zu lesen ist, krankt etwas an seiner Vorhersehbarkeit und dem allzu offensichtlichen Flehen, doch bitte verfilmt zu werden. Ob Walter dann als Ove oder Grinch auftritt, spielt da nur zweite Geige. (H.O.)

Candice Fox – Stunde um Stunde

Suhrkamp, 18 €

Ein völlig normales Ehepaar dringt in das forensische Labor der Strafverfolgungsbehörden von Los Angeles ein und nimmt drei Geiseln. Was ist passiert? Vor zwei Jahren ist die junge Tilly Delaney verschwunden. Schnell hat die Polizei den Fall zu den Akten gelegt und Tillys Eltern mitgeteilt, ihre Tochter sei ertrunken. Aus lauter Ohnmacht entschieden sich die Delaneys zu diesem radikalen Schritt. Sie stellen der Polizei ein Ultimatum: Findet endlich unsere Tochter, oder wir werden Stunde um Stunde Laborproben, die als Beweismittel in anderen noch nicht verhandelten Fällen dienen, vernichten. Das ruft Detective Charlie Hoskins auf den Plan. Unter Einsatz seines Lebens hat er fünf Jahre lang undercover in einer mörderischen Motorradgang ermittelt. Jetzt ist er aufgeflogen – seine einzige Chance, die Kriminellen hinter Schloss und Riegel zu bringen, liegt im Labor. Deshalb setzt er alles dran, um Tilly so schnell wie möglich zu finden. Unterstützung erhält er von Polizeibeamtin Lynette Lamb, die es geschafft hat, an ihrem ersten Tag im Einsatz gefeuert zu werden. Sie hängt sich an Hoskins, um allen zu zeigen, dass sie doch eine gute Polizistin ist und das stellt sie in diesem cold case eindrücklich unter Beweis. Candice Fox ist nicht nur wieder ein rasanter Pageturner in einem ungewöhnlichen Setting gelungen, sondern mit Hoskins und Lamb hat sie ein kongeniales Ermittlergespann in das Rennen gegen die Zeit geschickt. (E.B.)

Paul Auster – Baumgartner

Rowohlt, 22 €

Professor Seymour T. Baumgartner, unter Freunden Sy, ist emeritierter Phänomenologe aus Princeton, der sich dem Schreiben philosophischer Bücher und, zunehmend, seinen Jugendreminiszenzen widmet: seiner kleinbürgerlichen Herkunft aus Newark, der schwierigen Ehe seiner Eltern, dem Collegebesuch und einem Studienaufenthalt in Paris, schließlich der alles umfassenden Liebe zu der Übersetzerin und Dichterin Anna, mit der er die glücklichsten Jahre verbrachte, bis sie vor zehn Jahren bei einem Badeunfall ums Leben kam. Ihren Tod konnte er nie verwinden und so stürzt er sich beinahe obsessiv in das Werk, das seine Frau hinterlassen hat, bis eine Studentin genau darüber promovieren will. Nach einem furiosen Auftakt lässt der Roman leider Stringenz und Spannungsbogen vermissen. Die vielen Geschichten in der Geschichte behindern den Lesefluss und das Ende ist für meinen Geschmack unbefriedigend. (E.B.) 

Fabian Navarro – Miez Marple und die Pfote des Todes

Goldmann, 16 €

Miez Marple ist der Ruhm etwas zu Kopf gestiegen. Sie vernachlässigt ihre Fälle, bis sie mit der Enttäuschung der Eltern eines vermissten Straßenkätzchens konfrontiert wird. Schleunigst bringt sie ihre Pfoten wieder in die Spur und mit Hilfe des Katers Watson nimmt sie Witterung auf. Entgegen ihrer Erwartungen taucht die kleine Streunerin nicht einfach wieder auf, sondern eine riesige Verschwörung. Dabei stoßen die beiden engagierten Detektiven auf eine mysteriöse Mordserie und begeben sich in die düsteren Gassen der Straßenkatzen – und geraten in größte Gefahr. Doch es steht so viel mehr als das Leben eines Kätzchens auf dem Spiel. Fabian Navarro hat einen außergewöhnlichen Katzen-Krimi geschrieben – voller Wortwitz und viel Gespür für die felinen Gefährten. Nicht nur für Katzen-Fans ein großer Lesespaß. (E.B.)

Zoe Beck – Memoria

Suhrkamp, 16,95 €

Ein heißer Sommer in naher Zukunft in Deutschland. Überall brennen Felder und Wälder. Harriet ist unterwegs zu einem Kunden. Wegen der Brände muss der Zug auf offener Strecke halten. Das Feuer kommt einem alleinstehenden Haus gefährlich nahe. Zusammen mit zwei anderen Frauen rettet Harriet die Besitzerin aus ihrem Heim und fährt sie zum nächsten Krankenhaus, obwohl sie nie in ihrem Leben gelernt hat, Auto zu fahren. Oder vielleicht doch? Immer häufiger ploppen Erinnerungsfetzen auf, die Harriet nicht einordnen kann. Ungereimtes kommt zum Vorschein und die Frau, die vor etlichen Jahren vor einer Karriere als Konzertpianistin stand, bis eine scheinbar harmlose Operation an der Hand ihren großen Traum zerstörte, weiß nicht mehr, ob das, was sie bislang für ihr Leben hielt, tatsächlich stattgefunden hat. Ein großartiger Thriller, den man gar nicht mehr aus der Hand legen mag. (E.B.)

Laura Baldini – Aspergers Schüler

Piper, 22 €

Wien 1986: Die junge Psychologin Sarah verbringt einen Forschungsaufenthalt in Wien, um über den Kinderarzt Dr. Hans Asperger zu promovieren, nach dem eine AutismusSpektrumStörung benannt wurde. Aber je mehr sie über den verehrten Arzt erfährt, desto erschütterter ist sie. Denn Aspergers Arbeit ist eng verknüpft mit den widerlichen Vorstellungen der Nazis von sogenanntem  „lebensunwerten Leben“. Durch ihre Recherchen wird Sarah auf die Geschichte des kleinen Erich aufmerksam, der nicht in dieses Weltbild der Nazis passt. Schon 1926 kam der 8-jährige in die Uniklinik zu Dr. Hans Asperger. Erich sieht die Welt nicht wie andere Kinder. Er kann hochkomplexe mathematische Probleme lösen, aber es fällt ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen. Nach schrecklichen Jahren in einer Pflegefamilie wird er in der Klinik ganz anders behandelt. Man hört ihm zu, man versteht ihn. Die Krankenschwester Viktorine schließt Aspergers kleinen Schüler ganz besonders ins Herz. Für sie bricht eine Welt zusammen, als die bahnbrechende Arbeit ihrer Abteilung vom NS-Regime vereinnahmt wird. Während Asperger sich mit den neuen Machthabern arrangiert, ist Viktorine entsetzt, als sie erfährt, was an der Klinik am Spiegelgrund vor sich geht. Für Erich wird es lebensgefährlich … (E.B.)