Draußen lässt die Natur noch etwas auf sich warten, bei  uns sprießen die Bücher schon aus dem Boden. Wir haben da ein paar spannende Neuheiten für Sie.

Mithu M. Sanyal: Identitti

Hanser, 22 €

Ins Satirische übersteigert nimmt Mithu M. Sanyal die Diskussion um politische Korrektheit und die Diskussionskultur in den sozialen Medien aufs Korn. Viel Stoff zum Nachdenken über Identität und über den Ton, der im Netz oftmals ungepflegt daherkommt. Was ist passiert? In Identitti geht es um einen handfesten Skandal: Prof. Dr. Saraswati ist weiß! Schlimmer geht es nicht. Denn die Professorin für Postcolonial Studies in Düsseldorf war eben noch die Übergöttin aller Debatten über Identität – und beschrieb sich als Person of Colour. Während das Netz Saraswati hetzt und Studierenden bei Demos ihre Entlassung fordern, stellt ihre Studentin Nivedita ihr intimste Fragen. Das ist überaus erhellend. (E.B.)

Kathleen Weise: Der vierte Mond

Heyne, 14,99 €

Feine Space Opera aus Deutschland: Eine Erkundungsmission der ESA zum Jupitermond Kallisto mündet in einer Katastrophe. Auf der Erde ringen derweil Player aus Wirtschaft und Politik darum, wie man den einzigen Überlebenden am besten nach Hause holt. Und dann mischen da noch einige pensionierte Spaceworker mit, die auf Asteroiden und dem Mars nach Rohstoffen schürfen und sich ihre Rente mit Schmuggel aufbessern. Großes Kino auf den Spuren von „The Expanse“ – mit europäischer Duftnote.

Denn im Mittelpunkt des spannenden SciFi-Thrillers stehen ein Luxemburger Bergbauunternehmen, die Europäische Union und diverse Weltraumrentner, die in Südamerika am Rande des Guayana Space Centers bei Kourou leben. Interessante Charaktere, phantastische Schauplätze, komplexer Plot – bitte mehr davon! (K.M.)

Bénédicte Belpois: Hingabe

S. Fischer, 22 €  

Selten war ein Titel falscher gewählt als dieser. Angeblich soll in diesem Roman die Metamorphose von purer sexueller Begierde zu bedingungsloser Liebe beschrieben werden. Aber alles, was man hier zur Kenntnis nehmen muss, ist grobschlächtiger Stil. Bei der amour fou zwischen  dem raubeinigen Bauern Tomás und der blonden Kellnerin Suiza käme es im Grunde auf eine filigrane Wandlung an, die sprachlich fein seziert werden müsste. Stattdessen aber wird hier mit dem Säbel und nicht mit dem Skalpell operiert.

Madame Belpois jongliert nur mit den ganz großen Vokabeln, unter Liebe, Tod, Gewalt und Schicksal tut sie es nicht. Peinliche Sex-Szenen wechseln ab mit großen Liebesschwüren, die nicht mit dem Stift, sondern mit dem Blindenstock geschrieben wurden. Hier die blonde Suiza mit ihrer rätselhaften Herkunft, die allen Männern den Kopf verdreht, dort der emotional verwahrloste Tomás , der sich grob das nimmt, was er will – das sind Charakterzeichnungen aus dem Schnittmusterbogen einer TV-Serienproduktion. Schüchterne Willenlosigkeit trifft auf zupackende Gier, das haben wir ja erst 347 Mal in ähnlicher Manier gehört und gelesen. Und dafür diesen schönen Titel „Hingabe“? Verschwendung! (H.O.)

David Klass: Klima

Goldmann, 13 €

Hier haben wir die klassische Breaking-Bad-Situation. Da gibt es einen Kriminellen, für den man ziemlich viel Sympathie hegt. Seit Monaten fahndet das FBI erfolglos nach einem Terroristen. Die Zahl der Todesopfer steigt, doch der Mörder, der nur als „Green Man“ bekannt ist, entkommt ihnen jedes Mal. Jeder Angriff ist strategisch geplant, um ein Ziel zu zerstören, das die Umwelt bedroht. Und mit jedem Anschlag wächst die Schar seiner Anhänger. Tom Smith, ein junger, unerfahrener Datenanalyst beim FBI, glaubt etwas entdeckt zu haben, das alle anderen übersehen haben. Doch als er sich Amerikas gefährlichstem Mann nähert, muss er sich die Frage stellen: Was, wenn der Mann, den er um jeden Preis aufhalten will, in Wahrheit versucht, die Welt zu retten? Ein Pageturner, bei dem man auf jeden Fall dranbleibt. (E.B.)

Rachel Joyce: Miss Bensons Reise

Krüger, 20 €

Ganz großes Kino. Ein Entwicklungsroman, wie man ihn nicht so häufig liest. Margery Benson hat einen großen Traum: den goldenen Käfer in Neukaledonien zu finden, den ihr Vater ihr einst in einem Naturkundebuch gezeigt hat. Doch dieser Traum ist über die Jahre hin genauso verblasst wie Margery selbst. Bis an einem grauen Londoner Morgen alles anders wird. Kurz darauf findet sich Margery auf einem Dampfer nach Australien wieder, an ihrer Seite die junge Enid Pretty.

Die plapperhafte Sexbombe ist nicht gerade das, was sich Margery als seriöse Begleitung auf ihrer Expedition vorgestellt hat. Doch auch Enid hat ein Geheimnis und hegt einen Traum. Zusammen begeben sich die beiden ungleichen Frauen in ein Abenteuer, das die kühnsten Erwartungen übertrifft. Eine großartige Geschichte über Freundschaft und Freiheit. Das ist manchmal zum Schreien komisch und manchmal zutiefst traurig. Lesen! (E.B.)

Zoe Brisby: Reise mit zwei Unbekannten

Eichborn, 18 €

Die Geschichte ist nicht neu, aber dennoch durchaus anrührend. Die 90-jährige energische Maxine ist aus dem Seniorenheim ausgebüxt, um ihr Ableben selbstbestimmt zu regeln. Der schüchterne Student Alex hat schlimmen Liebeskummer. Das Schicksal führt sie über ein Mitfahrportal zusammen. In einem uralten Twingo brechen sie zu einer Fahrt durch Frankreich nach Brüssel auf.

Maxine schreibt es sich auf die Fahnen, Alex eine Portion Selbstvertrauen durch lebenskluge Ratschläge zu verpassen, während Alex allmählich beginnt, Maxine in sein Herz zu schließen. Als Maxine von der Polizei gesucht wird, beginnt für beide das Abenteuer ihres Lebens. Fraglich ist, ob Maxine an ihrem Entschluss, ihr Leben in Brüssel zu beenden, festhält. Und hat Alex die Kraft, sie in ihrer Entscheidung zu unterstützen? (E.B.)

Erika Swyler: Der Tag, an dem mein Vater die Zeit anhielt

Limes, 22 €

Das Cover führt etwas in die Irre. Die ist kein leicht-flockiger sogenannter Frauenroman, sondern eine Phantasy-Geschichte mit Sci-Fi-Elementen. Die 11-jährige Nedda Pappas träumt davon, Astronautin zu werden – ein Traum, der in Neddas Heimatort nahe der Raketenbasis von Cape Canaveral gar nicht so aus der Luft gegriffen scheint. Sie muss nur möglichst schnell erwachsen werden – doch genau das möchte Neddas geliebter Vater, ein genialer, aber vom Leben überforderter Wissenschaftler, verhindern.

Er hat schon einmal ein Kind verloren und möchte Neddas Kindheit am liebsten konservieren. Seit Jahren schraubt er im Keller an einer Maschine, die genau das ermöglichen soll – doch stattdessen löst er eine Katastrophe aus, die eine ganze Stadt auf ewig verändert. Neddas Mutter greift beherzt ein. Doch kann sie auch das Vertrauen ihrer Tochter gewinnen? Der Roman funktioniert auf mehreren Ebenen. Da ist Neddas tiefe Freundschaft zu dem gleichaltrigen Denny, die innige Bindung zu ihrem Vater und die unterkühlte Beziehung zu ihrer Mutter. Erst im Laufe der Geschichte wird klar, warum ihre Mutter so ist, wie sie ist. Und außerdem gibt es noch einen interessanten Ausblick in die Zukunft. Aber mehr soll auch gar nicht verraten werden. (E.B.)

Guillaume Martin: Sokrates auf dem Rennrad

Covadonga, 14,80 €

Guillaume Martin gehört zu den besten Radrennfahrern der Welt. Und er ist Philosoph. Eine Kombination, die viele Menschen irritiert. Um mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Spitzensportler nichts im Kopf hätten, hat der französische Radprofi ein Buch geschrieben, das seine beiden großen Passionen vereint und nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

In „Sokrates auf dem Rennrad“ schickt er die bedeutendsten Denker der Geschichte in das größte Radrennen der Welt: die Tour de France. Gekonnt und mit viel Humor verwebt Guillaume Martin eigenes Erleben, das einen Blick hinter die Kulissen des realen Radsportzirkus gewährt, mit dem fiktiven Kampf von Aristoteles, Spinoza und Nietzsche um Windschatten, Reifenbreiten und Etappensiege. Da ist Kant, der schlucken muss, als er erfährt, dass das Rennen nicht in seinem geliebten Königsberg stattfindet. Da ist Marx, der sich um die ungerechte Verteilung der Prämien sorgt. Da ist Sartre, der als Teamchef der Franzosen seine Fahrer ermutigt, sich nicht im Peloton zu verstecken. Und damit ist Martin ein überaus unterhaltsames wie kluges Buch gelungen.