Mit großen Schritten nähern wir uns dem Jahresende. Wer noch ein paar gute Geschenk-Ideen braucht, der legt doch einfach ein gutes Buch unter den Baum.

Nicci French: Tödliche Schuld

C. Bertelsmann, 16 €
Die Meister des gepflegten Psychothrillers sind wieder am Werk. Und wie! Tödliche Schuld ist ein Pageturner im besten Sinne. Und darum geht’s: Liam war Judes erste Liebe, doch nach einem tragischen Unglück vor vielen Jahren verschwand er aus ihrem Leben. Elf Jahre später – Jude ist inzwischen  Ärztin und glücklich verlobt –  taucht er plötzlich wieder auf und bittet sie um einen Gefallen, der sich als unfassbar verhängnisvoll erweist. Am nächsten Tag ist Liam tot und die Polizei steht vor Judes Tür und glaubt ihr kein Wort. Nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihr Privatleben gerät aus den Fugen. Schließlich macht sie sich selbst auf, um herauszufinden, was passiert ist.  Doch je tiefer sie in Liams Leben eintaucht, desto unwiederbringlicher verstrickt sie sich in einem Netz aus Lügen und Geheimnissen, und bald ist auch ihr eigenes Leben in Gefahr.

Anika Beer: Succession Game

Piper, 17 €
Der Bielefelder Autorin ist eine rasante Dystopie gelungen. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein digitalisiertes „Dschungelcamp“ in das Jahr 2054 verlegen. Zu der Zeit ist der Klimawandel weit fortgeschritten, die Menschen leben auf engstem, hochtechnologisierten Raum. Augmented-Reality-Programme sind der neue heiße Sch… Besonders das Escape-Room-Spiel „Succession Game“ wird in den sozialen Medien von Millionen Fans gefeiert. Dahinter steht ein zweifelhafter Megakonzern, der offenbar mehr im Sinn hat, als „nur“ ein Spiel anzubieten. Als die Privatdetektivin Clue als Kandidatin ausgewählt wird, sieht sie ihre Chance, den Strippenziehern hinter Succession Game auf die Spur zu kommen und den Laden von innen aufzumischen, sprich zu hacken. Doch kurz nach Beginn des Spiels stirbt ein Teilnehmer und Clue begreift, welche Abgründe sich hinter den Kulissen von „Succession Game“ auftürmen. Plötzlich muss sie selbst um ihr Leben fürchten. Ein Thriller, den man nur schwer wieder aus der Hand legen mag.

Hervé Le Tellier: Ich verliebe mich so leicht

Rowohlt, 20 €
Die Geschichte ist nicht neu: Älterer Mann verliebt sich in junge Frau. Die will nach einer kurzen Affäre nichts mehr von ihm wissen, aber ihn treibt der Herzschmerz dazu, ihr von Paris bis nach Schottland nachzureisen. So weit, so gut und mehr oder weniger bekannt. Doch die irgendwie typisch französische Art, wie der Autor die Geschichte charmant und mit leichter Hand erzählt, macht sie absolut lesenswert. Einerseits durchaus mit Mitgefühl für seinen Helden, andererseits aber mit lakonischer Distanz und spöttelndem Unterton. Denn bei allem Liebesleid schwingt auch die Botschaft des Titels mit: Dies war nicht die erste Liebe und bestimmt auch nicht die letzte des verschmähten Helden.

Sirka Elspaß – ich föhne mir meine wimpern

Suhrkamp, 20 €
Als Poetin fiel die 1995 in Oberhausen geborene Sirka Elspaß schon in ganz jungen Jahren auf, z. B., als sie bereits 2012/2013 den postpoetry-Nachwuchspreis des Landes NRW gewann. Nach dem Studium von Sprachkunst und Kreativem Schreiben in Hildesheim und Wien erscheint nun ihr erster Band. Was macht die Gedichte von Sirka Elspaß aus? Verblüffende Bilder und Szenerien sind eine wesentliche Zutat:  „auf einer toilette in versailles bekomme ich meine tage“, so beginnt ein Gedicht und endet mit den Versen „ich föhne mir meine wimpern/ als käme ich aus dem krieg“. Nicht alle Gedichte warten mit so gelungenen Bildern auf, aber immer wieder stößt man auf poetische Überraschungen wie der Frage „woher weiß die schmerztablette wo es schmerzt.“ Die herrliche Antwort darauf: „der schmerz winkt aus der ferne/ und die linderung düst hin/ wie so ein/ matchbox-auto.“ Bemerkenswertes Debüt.

Sören Sieg: Oh, wie schön ist Afrika

Goldmann, 16 €
Couchsurfing in Afrika? Ja, das geht. Sören Sieg lernte 18 Hosts in 6 Ländern kennen und hat entsprechend viel zu erzählen. Er lässt sich von seinen Gastgebern ihre Heimat zeigen. Er nimmt spontan einen Song im Tonstudio auf und wird zu Hochzeiten und Beerdigungen eingeladen, erlebt nervtötende Moskitos, Lärm und schwierige hygienische Bedingungen. Das ist meist hochspannend. Etwas nervtötend ist allerdings, dass der Autor immer wieder betont, dass er seine Gastgeber zum Essen einlud – was aber nach eigenem Bekunden für ihn eine Selbstverständlichkeit sei. Und er zum Teil minutiös ausrechnet, dass diese privaten Übernachtungen samt Einladungen ihn mehr gekostet hat als so manches Hotelzimmer. Ich dachte, es geht um den Einblick in afrikanische Gesellschaften, denn dieser Blick ist durchaus gelungen.

Ian McEwan – Lektionen

Diogenes, 32 €
Hinter diesem spröden Romantitel verbergen sich gleich mehrere Geschichten, die es in sich haben. Der Protagonist Roland Baines ist als Jugendlicher ein besonderes Piano-Talent, seine Klavierlehrerin fördert aber nicht nur seine musikalische Begabung, sondern missbraucht ihn sexuell auch über lange Jahre.  Schnitt auf eine gescheiterte Ehe: Baines konnte sein Talent leider nicht nutzen, er verbringt seine Tage als alleinerziehender Vater eines kleinen Jungen. Seine deutsche Frau Alissa hat ihn von heute auf morgen verlassen, eines Tages begegnet er ihr zufällig. Sie gibt ihm das Manuskript ihres ersten Romans, ein Meisterwerk, wie er neidlos anerkennen muss. Wie die Geschichte der Geschwister Scholl da noch hineinspielt, dafür sollte man dieses 700-Seiten-Werk selbst lesen. Der Roman ist stellenweise brillant, aber manchmal hat man doch das Gefühl, als habe McEwan nicht alle Handlungsfäden gleichermaßen in der Hand.

Erwin Grosche und Peter Menne
Die kleine Fußballschule

Lektora, 19,90 €
„Man liebt es auf der ganzen Welt / und braucht es überall / die Welt, die ist ein Fußballfeld / die Erde ist ein Ball.“ So hübsch reimt sich der Paderborner Kleinkünstler und Autor durch die Welt des runden Leders. Das von Peter Menne liebevoll illustrierte Bilderbuch lädt dazu ein, diese Welt gemeinsam mit kleinen Kindern zu entdecken. Und selten hat jemand so einleuchtend einfach erklärt, was eigentlich ein Fallrückzieher oder eine Schwalbe ist wie Erwin Grosche. Für alle Leser*innen aus Bielefeld gibt es nur ein kleines Manko: Der SC Paderborn kommt ganz schön häufig vor. Aber diese Stellen lassen sich beim Vorlesen ja problemlos durch „Arminia“ ersetzen. 😊

Aroa Moreno Durán: Die Tochter des Kommunisten

btb, 22 €
Einen ganz anderen Blick auf das „andere“ Deutschland eröffnet Aroa Moreno Durán. Sie schildert auf höchst berührende Weise, wie sich das Leben einer spanischen Familie, die vor dem Franco-Regime geflohen ist, in Ost-Berlin gestaltet. Katia wächst in den 1950er-Jahren im Schatten des Eisernen Vorhangs auf. Kurze Zeit später teilt die Mauer die Stadt. Für ihre Eltern steht die kommunistische Seite Deutschlands für alles, wofür sie in ihrer Heimat gekämpft und gelitten haben. Sie haben sich eingerichtet in der winzigen Wohnung, in der es im Winter kalt ist und nach Kohlsuppe riecht, auch wenn das Exil schmerzhafter ist, als sie sich eingestehen wollen. Katia kennt kein anderes Leben, bis eine zufällige Begegnung mit einem jungen Mann aus dem Westen ihre Neugierde auf den Rest der Welt weckt. Sie folgt ihm mit falschen Papieren, nichtsahnend, welches neue Leben sie erwartet und welchen Preis ihre Entscheidung fordert.

Martin Kordic: Jahre mit Martha

S. Fischer Verlag, 24 €
Dem kroatischen Autor gelingt ein Kunststück: Im Rahmen einer bezaubernden Liebesgeschichte erzählt er gleichzeitig die Geschichte des Einwanderungslands Deutschland und wie es mit den ersten Generationen der Gastarbeiter umsprang. Die Lovestory selbst ist asymmetrisch – sowohl vom Alter der Beteiligten als auch von ihrer sozialen Stellung her. Der 15-jährige Zeljko, genannt Jimmy, verliebt sich in Martha. Sie ist Professorin in Heidelberg, er lebt mit Eltern und Geschwistern zu fünft in einer Zweizimmerwohnung. Die Faszination ist übrigens gegenseitig und hält erstaunlich lange. Das langsame Vortasten in Sachen Zärtlichkeit und die feine Charakterzeichnung der Figuren kontrastiert dabei durchaus mit dem Grimm, der zwischen den Zeilen bei den Schilderungen sozialer und gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten spürbar wird. 

Christoph Peters: Der Sandkasten

Luchterhand, 22 €
Giftige Groteske aus dem gärenden Sumpf der Berliner Polit-Szene: Kurt Siebenschön, Starmoderator des Rundfunks, ist bekannt für seine aggressiven Interviews, die auch gern mal übers Ziel hinausschießen. Im Intrigenstadel des Hauptstadtdschungels steht man natürlich bald rasch auf irgendwelche Abschusslisten. Siebenschön ist misstrauisch gegenüber dem staatlichen Handeln während der Corona-Pandemie, stellt sich aber klar und deutlich auch gegen die Verschwörungstheoretiker. Dann wird ihm die Sprecherstelle bei einer liberalen Partei angeboten. Siebenschön setzt stattdessen alles auf eine Karte. Ähnlichkeiten zu lebenden Persönlichkeiten und  Parteien sind natürlich rein zufällig. Das dramatische Ende allerdings wirkt deutlich überzogen.