Summertime …

… und wir haben das passende Buch zur Hängematte. Alltag raus und rein in die Lektüre, die uns in andere Welten entführt.

Wallace Stroby: Zum Greifen nah

Pendragon, 18 €

Leider hat Wallace Stroby nach einem Verlagswechsel in den USA seine großartige Noir-Serie um Profi-Diebin Crissa Stone auf Eis gelegt. Also hat sein Bielefelder Verleger einen älteren Krimi des Autors rausgekramt, der schon (fast) alle Zutaten enthält, die seine Bücher so gut machen: eine toughe Frau, die sich ihrer Haut wehren muss gegen ihren miesen Ex-Lover und einen todkranken Berufskiller. Ein knackiger, schnörkelloser Krimi mit starkem Personal und Plot, den Ex-Rolling-Stone-Chefredakteur Bernd Gockel leider schlampig übersetzt hat. Was zur Hölle soll ein „Trinkspecht“ sein? Trotzdem: Leseempfehlung! (K.M.)

Andrew Cartmel: Killer Rock

Suhrkamp, 10,95 €

Schon der Vorgänger „Murder Swing“ hat mich schwer begeistert. Der Ich-Erzähler ist Vinyl-Detektiv. Bei ihm dreht sich alles um die sagenumwobenen 33 1/3 Umdrehungen pro Minute und den perfekten Klang eines Verstärkers. Das ist nerdig und zutiefst sympathisch. Da er eigentlich eher im Jazz zu Hause ist, braucht der Protagonist bei seinem neuen Fall die Unterstützung seines alten – nicht weniger Platten-begeisterten – Freundes Tinkler. Denn der kennt sich aus im Rock. Denn der Vinyl-Detektiv soll für einen merkwürdigen Auftraggeber das vor Jahren verschwundene Kind einer Rock-Ikone aufspüren. Und natürlich ist es eine Platte, die der erste Schüssel zur Lösung ist. Unglaublich unterhaltsam, very British und zum Schreien komisch. (E.B.)

Philip Kerr: Trojanische Pferde

Wunderlich, 24 €

Auch in seinem 13. Fall kann Bernie Gunther den langen und dunklen Schatten der Vergangenheit nicht entkommen. Wir schreiben das Jahr 1957 und der ehemalige Kriminalkommissar, der sich mit viel Geschick und faulen Kompromissen durch die Nazi-Zeit laviert hat, wird von seinem Arbeitgeber, einer großen Münchener Versicherung, als Schadensregulierer nach Athen geschickt, um die Forderungen eines Versicherten namens Witzel zu prüfen, dessen Schiff vor der griechischen Küste gesunken ist. Als Bernie herausfindet, dass das Schiff einst einem griechischen Juden gehörte, der nach Auschwitz deportiert wurde, ist die Sache für ihn klar: ein Racheakt. Aber ist es wirklich so einfach? Mit viel Treue zur Historie und rasant-schlagfertigen Dialogen gehört der vorletzte Band zu den richtig guten. (E.B.)

Karsten Dusse: Das Kind in mir will achtsam morden

Heyne, 10,99 €

Björn Diemel hat die Achtsamkeit gelernt und wurde so von einem gestressten Mafia-Anwalt zu einem entspannten selbstständigen Advokaten. Denn er hat seine Stressoren ermordet – ganz achtsam versteht sich. Doch nun rastet er ausgerechnet im Urlaub mit seiner von ihm getrennt lebenden Frau und Tochter in der friedlichen Bergkulisse komplett aus – mit tödlichem Ausgang für den schnöseligen Kellner. Wegen einer Nichtigkeit. Was war passiert? Diemels inneres Kind hatte sich mit einem Wutanfall zu Wort gemeldet. So erklärt es ihm jedenfalls sein bewährter Achtsamkeits-Coach Joschka Breitner. Und da der Jurist nicht nur die Symptome seiner Probleme mit Achtsamkeit behandeln, sondern die Ursachen angehen will, lässt er sich auf eine Partnerschaftswoche mit seinem inneren Kind ein. Und die hat es in sich. Denn zu alten Schwierigkeiten – Diemel gaukelt gleich zwei Mafia-Clans vor, dass ihre Bosse noch am Leben sind – gesellen sich neue. Als Vertreter des Elternbeirats im Kindergarten seiner Tochter treten die Mütter mit dem Wunsch nach einem klimaneutralen Kindergarten an ihn heran. Dazu gehört eine neue Heizung, doch der Keller des Hauses ist tabu, denn dort versteckt Diemel eines seiner größten Probleme … Wer nach dem Debüt gedacht hat, eine solche originelle und urkomische Geschichte lässt sich nicht fortführen, der sollte sich schleunigst mit seinem inneren Kind beschäftigen. (E.B.)

Tess Gerritsen: Das Schattenhaus

Limes, 15 €

Zugegeben, ich habe schon länger kein Buch mehr von Tess Gerritsen gelesen, hatte aber zumindest die vage Erinnerung, dass die US-Autorin für spannende Unterhaltung steht. Leider hat mich „Das Schattenhaus“ schwer enttäuscht. Wenn der Zug mit „Fifty Shades of Grey“ nicht schon längst abgefahren wäre, könnte man meinen, Tess Gerritsen hätte hier noch schnell aufspringen wollen. Irritierend, welches seltsame Frauenbild die Autorin transportiert. Gewaltsamer Sex als Buße? Erotik mit einem Geist? Eine Spukgeschichte? Nicht ernsthaft, oder?! Und dazu noch ausgesprochen vorhersehbar, wo und wie die Geschichte endet. Da hatte Tess Gerritsen wohl eine rabenschwarze Schreibphase. (E.B.)

Elizabeth Strout: Die langen Abende

Luchterhand, 22 €

Ein Wiedersehen mit einer Protagonistin, wie sie unsympathischer kaum sein kann: Olive Kitteridge, eine ehemalige Lehrerin, dick, barsch, unleidlich, die ihren ersten Mann Henry, einen harmlosen, gutmütigen Apotheker schon unter die Erde gebracht hat. Ganz unverhofft erlebt diese Unympathin in dem neuen Roman von Elizabeth Strout noch die Gnade einer späten Liebe mit einem ebenfalls verwitweten Mann. Manchmal bricht aus ihr noch die alte Wut hervor, doch selbst sie wird etwas altersmilder. Als auch der zweite Mann nach acht glücklichen Jahren stirbt, ist sie auf sich gestellt. Meisterhaft gelingt es Strout, messerscharfe Alltags-Dialoge und -Szenen zu schreiben. Sie benutzt keinen Weichzeichner für die letzten Jahre ihrer Heldin, aber dieser Art von kantiger Melancholie kann man sich als Leser nicht entziehen.. Tipp: Erst den  Roman „Mit Blick aufs Meer“ lesen, danach diesen hier, selbst Olive Kitteridge wird einem dann ans Herz wachsen. (H.O.)

John von Düffel: Der brennende See

Dumont, 22 €

Gelesen im höchst sonnigen April 2020, entführt uns John von Düffel in einen April, der sogar noch heißer ist. Und schenkt uns eine Geschichte mit höchst aktuellem Bezug. Der Roman stellt die Frage, in was für einer Welt wir leben möchte. Naturgemäß gibt es darauf unterschiedliche Antworten. Auch Hannah, die Tochter eines Schriftstellers, die nach seinem Tod in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehrt, begibt sich auf die Spurensuche. An seinem Erbe ist sie wenig interessiert. Doch als Hannah erste Schritte unternimmt, die Wohnung des Verstorbenen aufzulösen, findet sie an seinem Totenbett das Foto einer Unbekannten. Bald muss sie erkennen, dass nicht nur die vertraute Landschaft ihrer Kindheit sich in Staub und Rauch auflöst. Alle Bilder der Vergangenheit entgleiten ihr, nicht zuletzt auch das ihres Vaters. Als sie auf die Fridays-for-Future-Aktivistin Julia stößt, die sich in ihrem Kampf um Klimagerechtigkeit auf fragwürdige Weise radikalisiert hat, muss sie feststellen, dass ihr Vater dieser jungen Frau am Ende näher stand als ihr. Woher stammt diese Verbundenheit? (E.B.)

Emma Viskic: No Sound

Piper, 15 €

In ihrer australischen Heimat hat das Krimi-Debüt „No Sound“ für Furore gesorgt. Emma Viskic hat einen außergewöhnlichen Protagonisten erschaffen. Privatermittler Caleb ist seit einer schweren Erkrankung in seiner Kindheit fast gänzlich gehörlos. Aber er kann nicht nur Lippen lesen, sondern vor allem Gesichter von Menschen, die sich zudem unauslöschbar in sein Hirn einprägen. Zweifelsohne ein enormer Vorteil bei seinen heiklen Ermittlungen, denn Calebs bester Freund wird brutal ermordet. Aus Calebs persönlicher Betroffenheit erwächst der unbedingte Wille, diesen Fall aufzuklären. In was war Gary verstrickt? Bald schon tun sich ungeahnte Abgründe auf. (E.B.)

Dennis E. Taylor: Die Singularitätsfalle

Heyne, 14,99 €

Hätte IT-Spezialist Ivan Pritchard bloß dieses Artefakt nicht angefasst. Er hat auf dem Raumschiff „Mad Astra“ angeheuert, das auf Asteroiden unseres Sonnensystems nach Rohstoffen schürft. Auf einem kleinen Felsbrocken entdecken sie die Hinterlassenschaft einer außerirdischen Zivilisation – kleine Nano-Maschinen, die Pritchard nun in einen Mann aus Metall verwandeln. Der nimmt das mit Galgenhumor, auch noch als er von einen galaktischen Konflikt erfährt, der die Menschheit bedroht. Diesen lässigen Erzählton hat Taylor schon in seiner erfolgreichen „Bobiversum“-Trilogie kultiviert. Und der macht auch diesen Roman trotz blöder Klischees und Anleihen bei „The Expanse“ & Co. zum Lesevergnügen. Flotte Urlaubslektüre. (K.M.)

Eshkol Nevo: Die Wahrheit ist

dtv, 22 €

In einem (fiktiven) Interview stellt sich der Autor allerhand unbequemer Fragen, antwortet zumeist sehr ausschweifend, gerne in Form von Kurzgeschichten. Dabei geht es oft ans Eingemachte, ob er schon mal unter Drogeneinfluss geschrieben habe, wo und wann er am liebsten schreibe, ob er nach Erscheinen eines Buches gerne nachträglich etwas ändern würde und ein Vielerlei mehr. Dabei umklammert all die wahren und erfundenen Geschichten ein alles beherrschendes Thema: seine Ehefrau Dikla, die große Liebe seines Lebens. Wer hier eine der Wahrheit verpflichtete Biographie erwartet, wird sicherlich enttäuscht werden, alle anderen aber kommen bei den unfassbar fantasievollen Antworten Nevos voll auf ihre Kosten. (R.R.)