Klaudia Nußbaumer

Immer freitags zieht sich Klaudia Nußbaumer
ihren grünen Kittel an und macht sich auf den Weg zu ihrer Station. Auf der Neurochirurgie im Evangelischen Klinikum Bethel klopft sie an die Türen und fragt die Patienten, ob sie etwas brauchen. Wenn sie sich vorstellt: Ich komme von den Grünen Damen, dann kommt ab und zu die Reaktion: „Mit Kirche habe ich nichts am Hut!“
Dass Klaudia Nußbaumer nicht missionarisch unterwegs ist, kann sie immer schnell erklären. „Und oft kommt es dann zu richtig guten Gesprächen“, berichtet die pensionierte Fachkinderkrankenschwester für den OP-Dienst, die viele Jahre in Bethel gearbeitet hat.

Manchmal trifft sie Menschen in einer Lebenskrise – ist für sie da, hört zu. Andere freuen sich darüber, wenn Klaudia Nußbaumer ihnen vom Kiosk eine Zeitung besorgt, das Telefon anmeldet oder den Fernseher erklärt. „Das Ehrenamt gibt mir sehr viel, es kommt so viel zurück. Ich finde es nicht sinnerfüllend, meine Tage zwischen Morgenmagazin und Tagesschau zu verbringen. Ich sehe das bei vielen Menschen, die in Pension gegangen sind und keine Hobbys haben. Vielfach hören sie zu intensiv in sich rein und werden krank.“ Diese Gefahr besteht bei Klaudia Nußbaumer sicher nicht. 2009 – da war die heute 66-Jährige noch voll im Job – hat sie an ihrem ersten Auslandseinsatz als Mitglied eines Teams des Hammer Forums teilgenommen. „Das Forum ist eine Hilfsorganisation, die sich seit 1991 um die medizinische Versorgung von Kindern in Krisengebieten kümmert“, erklärt die OP-Schwester, die mittlerweile stellvertretende Vorsitzende des Vereins ist. „Der Leiter, Dr. Theophylaktos Emmanouilidis, war lange Zeit Oberarzt in Bethel. Daher kannte ich seine Arbeit für das Forum. Vor 13 Jahren war die Zeit reif, dass ich mit in den Jemen geflogen bin. Meine Kinder waren schon fast erwachsen und mein Mann kommt auch allein zurecht“, lacht die engagierte Frau. Mittlerweile kann sie auf eine ganze Reihe von Einsätzen in Krisengebieten zurückblicken. „Im Jemen waren wir recht häufig, zuletzt 2015. Das Jahr, in dem der Krieg ausbrach. Wir sind gerade noch so rausgekommen“, erinnert sie sich an die dramatischen Tage im Januar. Außerdem war sie bereits drei Mal in Burkina Faso, zwei Mal in der Republik Kongo und vier Mal in Guinea-Bissau. Von dort ist sie gerade erst zurückgekehrt. Etliche Tage später als geplant, denn das Flugzeug, mit dem das Hilfsteam die Rückreise aus dem westafrikanischen Land antreten sollte, hatte einen technischen Defekt. Dass die Koffer, die die portugiesische Fluggesellschaft am Flughafen von Bissau aufbewahrt hatte, von Maden befallen waren, bringt die erfahrene OP-Schwester nicht aus dem Konzept. „Es ist ein bitterarmes Land und nicht vergleichbar mit dem Leben und den hygienischen Standards, die wir aus Deutschland gewohnt sind. Wasser und Strom sind Luxus.“

Es ist nie genug

Folglich sind auch die medizinische Versorgung und die Ausstattungen der Kliniken katastrophal. „Eine Operation muss privat bezahlt werden. Vorab müssen die Menschen alles selbst in einer Apotheke kaufen – vom Verbandsmaterial bis zum Skalpell. Auch Laborkosten und die Leistungen des Arztes müssen sie selbst tragen. Dabei haben die Menschen kaum 20 Euro im Monat zur Verfügung.“ Zwei Wochen hat das Team des Hammer Forums kostenfrei Kinder behandelt. Ein Tropfen auf dem sprichwörtlichen heißen Stein? „Das Gefühl, dass es nie genug ist, stellt sich schon manchmal ein. Aber jedes Kind, das wir erfolgreich behandeln, ist Lohn genug“, beton Klaudia Nußbaumer. Zwei Schicksale sind ihr besonders im Gedächtnis geblieben. „Bevor ich nach Guinea-Bissau flog, hat mir mein Enkelkind, das gerade mal dreieinhalb Jahre alt ist, einen Schutzengel mitgegeben und gesagt: ,Der ist für dich, aber wenn du ein Kind triffst, das ganz viel Aua hat, darfst du den Engel weitergeben.’ Und ein solches Kind habe ich getroffen, ein Junge mit Eiterherden, den wir mehrfach operiert haben, mit einer Blutvergiftung und der tagelang 42 Grad Fieber hatte. Während der OPs hat er den Engel nicht losgelassen und es tatsächlich geschafft. Er hat überlebt.“ Und dann gab es das Mädchen mit verkrüppelten Fingern, das unbedingt in die Schule gehen wollte. Auch sie wurde erfolgreich operiert und freut sich jetzt darauf schreiben zu lernen. Aus diesen Geschichten schöpft Klaudia Nußbaumer Kraft. „Ich komme immer beseelt und geerdet von den Einsätzen zurück. Das befriedigt meinen Hang zu Reisen und Abenteuern. Und ich lerne viele andere Gesellschaftssysteme kennen. Ich denke, wir hier in Deutschland brauchen ein bisschen mehr Afrika und Afrika braucht ein bisschen mehr Europa.“