GESTATTEN: DER VIELFRASS
Ein leises Rascheln, dann ist sie da – blitzschnell schnappt sich Vielfraß-Dame Svea das Fleischstück und verschwindet wieder im Gehege. Fynn Müller, in dualer Ausbildung zum Tierpfleger in Olderdissen, beobachtet die Szene mit einem Lächeln. Ganz ruhig hockt er vor dem Stall mit ein paar Leckereien – denn Vertrauen gewinnt man bei diesen scheuen Tieren nur langsam.
Svea und ihre Schwester Jette gehören zu den außergewöhnlichsten Bewohnerinnen des Tierparks „Svea ist eindeutig die Mutigere“, erklärt Maren Walker, die seit viereinhalb Jahren mit den beiden arbeitet. „Jette hingegen beobachtet lieber erst in Ruhe, bevor sie sich zeigt.“

Die täglichen Fütterungen sind nicht nur ein Highlight für die Besucher, sondern auch eine Gelegenheit, die Tiere kurz gesundheitlich zu checken natürlich ganz ohne Stress. In freier Wildbahn sind Vielfraße ständig in Bewegung. Bis zu 50 Kilometer täglich legen sie auf der Suche nach Nahrung zurück. Damit ihnen im Tierpark nicht langweilig wird, lassen sich die Pfleger immer neue Beschäftigungen einfallen – sei es mit verstecktem Futter, duftenden Gewürzen oder kletterfreundlichen Strukturen. „Sie sind exzellente Kletterer“, erklärt Dr. Benjamin Ibler, Leiter des Tierparks. „Sie steigen nicht nur mit dem Kopf nach oben, sondern auch kopfüber wieder hinunter.“ Deshalb lohnt sich im Gehege auch ein Blick nach oben – Svea und Jette könnten gerade in luftiger Höhe unterwegs sein.
EINE VORLIEBE FÜR CURRY
Vielfraße, auch Bärenmarder genannt, verfügen über einen ausgezeichneten Geruchssinn. Besonders kurios: Sie lieben den Geruch von Currypulver „Manchmal streuen wir etwas davon ins Gehege – dann wälzen sich die beiden genüsslich darin“, lacht Maren Walker. Auch die Arbeitsschuhe der Pfleger sind höchst interessant – besonders wenn diese vorher in anderen Ställen unterwegs waren. Vertrauen musste sich das Team jedoch hart erarbeiten. „Inzwischen mögen sie uns offenbar – die Zeit im Gehege mit ihnen ist etwas ganz Besonderes.“ Die beiden Vielfraß-Schwestern bekommen regelmäßig ungewöhnliche Snacks – wie mit Fleisch gefüllte Säcke oder kleine Futtertiere – Knochen inklusive. In freier Wildbahn gehören nämlich selbst junge Elche und Rentiere zur Beute. „Ihr Kiefer ist extrem kräftig“, so Benjamin Ibler. Obwohl sie meist allein unterwegs sind, sind Vielfraße bemerkenswerte Jäger. Sie leben in den Nadelwäldern und Tundren Skandinaviens und Nordamerikas. Neben dem Menschen haben sie nur den Wolf als natürlichen Feind – dem sie jedoch meist geschickt aus dem Weg gehen. In Moorlandschaften haben Vielfraße durch ihre großen Tatzen klare Vorteile. „Ein Wolf würde da eher einsinken“, sagt Benjamin Ibler. Am Riss zeigen sich Vielfraße sehr selbstbewusst und schlagen gelegentlich auch Bären in die Flucht.

ALLESFRESSER MIT VORRATSSINN
Lange wurde vermutet, der Name „Vielfraß“ stamme aus einer fehlerhaft en Übersetzung von „fj ällfräs“ – Felsenoder Bergkatze. Allerdings verspeist der Allesfresser Futt er in großen Mengen, daher ist auch der Name „Gierschlund“ recht passend. Die an einen Bären erinnernden Tiere fressen, was sie kriegen können, und verstecken den Rest für später. Im Tierpark gibt’s daher strenge Porti onierung – rund 800 Gramm Fleisch pro Tag.
Maren Walker, Fynn Müller, Benjamin Ibler
Vorratshaltung wie in freier Wildbahn nicht erwünscht. „Das würde nur anderes Geti er anlocken – und das möchten wir eher nicht“, sagt der Tierparkleiter lachend. Svea und Jett e kamen aus dem Zoo Osnabrück. „Vielfraße sind gar nicht so häufi g in Zoos anzutreff en“, freut sich Benjamin Ibler darüber, dass Olderdissen diese interessante Tierart den Besucher*innen näherbringen kann. „Vielfraße sind sehr sensibel, was die Partnerwahl angeht, und die kurze reprodukti ve Phase der Weibchen erschwert die Zuchterfolge in den Zoos. Mit etwa 3 bis 4 Jahren werden die großen Marder geschlechtsreif. Interessanterweise ist die Paarungszeit im April und Mai, die eigentliche Tragezeit beginnt jedoch erst ab November/Dezember. Nach rund 90- bis 100-tägiger effektiver Trächtigkeitsdauer bringt das Weibchen bis zu vier Jungti ere zur Welt, die weißes Fell haben und oft in Schneehöhlen ihre ersten Wochen verbringen. Mit ihrem dichten Fell trotzen Vielfraße eisigsten Temperaturen – nur Fischott er haben ein noch dichteres Haarkleid. Gejagt wurde diese besondere Marderart wegen ihres Fells nur selten: zu scheu und ihr Revier zu groß, als dass Menschen ihnen regelmäßig begegnen würden. Heute leben in Europa schätzungsweise 1.500 bis 2.000 Tiere. Sie sind sowohl tag- als auch nachtaktiv, etwa alle drei bis vier Stunden gehen sie auf Streifzug. Und mit etwas Glück entdeckt man die wilden Schwestern vielleicht gerade dabei, wie sie sich genüsslich in Currypulver wälzen. ✔