Requiem in der Rudolf – Oetker – Halle

„Neue Wege“ – die beschreitet das Theater Bielefeld gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv RAUM + ZEIT. Mit ihrer Produktion „Requiem“ schicken Male Günther, Lothar Kittstein und Bernhard Mikeska auch die ZuschauerInnen auf ganz neue Wege. Die szenische Installation spielt nicht auf der Bühne, sondern in den sonst verborgenen Räumen der Rudolf-Oetker-Halle – und jede(r) betritt sie allein.

„Es kommt schon mal vor, dass hinterher Leute sagen: Ich brauche jetzt erst mal einen Schnaps.“

Bernhard Mikeska
Male Günther

Für die BielefelderInnen Neuland, für das Künstlerkollektiv eine spezielle Theaterform, die es seit 2005 bereits für verschiedenste Orte entwickelt hat. „Manchmal interessiert uns eine Figur und wir ‚erfinden‘ den passenden Ort, manchmal gibt es zuerst den Ort und wir gucken, was uns ein Gebäude erzählt“, so Regisseur Bernhard Mikeska. Die Rudolf-Oetker-Halle als Schauplatz der Installation zu wählen, war eine Idee des Theaters Bielefeld. Male Günther und Bernhard Mikeska, die zum Zeitpunkt des Gesprächs gerade zu ersten Proben in Bielefeld sind, kannten die Halle zwar von Konzerten, haben sie aber ganz neu entdeckt. „Zuerst wirkt sie sehr monumental“, so Male Günther, die seit einem Jahr als künstlerische Mitarbeiterin bei RAUM + ZEIT dabei ist. „Aber wenn man sich in den Hinterräumen verliert, hat jeder eine ganz eigene Stimmung. Am spannendsten finde ich den Keller, der ist wie eine versteckte Schaltzentrale.“ Ihr Kollege ergänzt: „Wenn man allein im großen Saal steht, strahlt das schon etwas Einschüchterndes aus. Aber viele Details wie Leuchten und Türklinken sind auch unglaublich charmant. Es ist einiges vorhanden, um die Zuschauer in eine andere Zeit zu versetzen und in der Geschichte zu versinken.“

Die Bühnen und Orchester der Stadt Bielefeld widmen
sich verstärkt zeitgenössischen und zukunftsweisenden
Theaterformen. So wird die Schauspielsparte im Rahmen
der NRW-Profilförderung „Neue Wege“ unter dem Leitthema
„Laboratorium: Recherche, Struktur, Freiheit“ von 2019 bis
2022 die Zusammenarbeit mit freien Kollektiven und KünstlerInnen
ausbauen. „Requiem“ ist das erste von insgesamt
drei Projekten, mit dem das Theater seine Grenzen
hinterfragt und eingespielte Strukturen aufbricht.

Bernhard Mikeska

Eine Geschichte, die eng mit der Familie Oetker verknüpft ist. Gebaut wurde die Halle schließlich, weil Lina Oetker, Witwe des Firmengründers August Oetker, der Stadt Bielefeld 1925 zum Gedenken an ihren im ersten Weltkrieg gefallenen Sohn ein Konzerthaus stiften wollte. Daher lag es für das Künstlerkollektiv nahe, für seine Produktion auch zur (Familien-)Geschichte der Oetkers zu recherchieren. „Was das Aufwachsen in einer Familie bedeutet, spitzt sich in der Familie Oetker zu, weil es auch um das Firmenerbe und große Verantwortung geht. Aber für jeden Menschen stellt sich die Frage, wie sehr sein Weg durch die Familie vorgegeben ist, in die er ungefragt hineingeboren wurde. Wie stark wird die Identität durch die Familie bestimmt und ist es möglich, eigene Wege zu gehen?“, so Bernhard Mikeska „Bei der Entstehung des Stückes hat es uns geholfen, die Familie Oetker im Hintergrund mitzudenken“, erklärt Male Günther, „aber es geht uns mehr um allgemeingültige Rollenmuster und archetypische Familiensituationen.“ Genau die erleben die ZuschauerInnen bei ihrem Gang durch abgelegene Räume und Hinterzimmer. Auf dem Weg durch vergangene Zeiten werden sie Teil von Begegnungen zwischen Vater und Sohn, Großmutter und Enkel, Mann und Frau. Das Besondere: Sie stehen den SchauspielerInnen direkt gegenüber, werden von ihnen angesprochen. „Wenn sie versuchen herauszufinden, welche stumme Rolle sie in dem Stück spielen, erinnert das ein wenig an die Situation einer Psychoanalyse“, so der Regisseur. „Wir inszenieren keine Geschichte, sondern Begegnungen mit doppeltem Boden: Bin ich gemeint oder die Figur, die die Schauspieler ansprechen?“ Male Günther resümiert: „Das vielleicht Überraschendste ist die Beschäftigung mit sich selbst, die dadurch angestoßen wird. Wer bin ich, wie bin ich der geworden, und wer könnte ich sonst noch sein?“ Dass es eine gewisse Überwindung kosten könnte, sich auf einen so ungewöhnlichen Theaterabend einzulassen, kann Bernhard Mikeska gut verstehen. „Es kommt schon mal vor, dass hinterher Leute sagen: Ich brauche jetzt erst mal einen Schnaps“, lacht der Regisseur. „Aber niemand muss mitspielen oder wird auf eine Bühne gezerrt. Und auf jeden Fall wirkt so ein Abend lange nach, berührt und bleibt im Gedächtnis.“

Premiere: 10.1., Rudolf-Oetker-Halle; der Einlass findet zwischen 17:36 Uhr und 21:48 alle 12 Minuten für jeweils eine Person statt.