Wolf D. Meier-Scheuven ist Präsident der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, als Urenkel des Firmengründers Otto Boge seit 1995 geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Boge, Familienvater und großer Musik-Fan mit einer umfangreichen Platten- und CD-Sammlung. Wir haben ihn im „Forum Bielefeld“ zu einem anregenden Gespräch über Musik und Wirtschaft getroffen.

Ist das Forum in der Alten Bogefabrik für Sie ein besonderer Ort?

Auf jeden Fall. Hier haben von 1937 bis 1983 drei Generationen meiner Familie mit ihren Mitarbeitern Kompressoren gebaut, verkauft und das Unternehmen weiterentwickelt. Ich bin hier als Kind an der Hand meines Vaters durch die Fertigung gegangen und habe im Büro auf dem Schoß eines Mitarbeiters Briefe gestempelt.

Sie sind ein großer Musik-Fan. Welches war Ihr erstes Konzert?

Das erste Konzert? Da bin ich mir nicht mehr sicher. Das muss etwa 1973 gewesen sein. Es gab damals jedenfalls nicht viele Orte in Bielefeld, wo Rock-, Pop- oder Jazzkonzerte stattfanden. Ich habe Udo Lindenberg zweimal in der Oetkerhalle gesehen. Und George McCrae, ein One-Hit-Wonder mit „Rock me Baby“. Bei der „Beatles Revival Band“ sind wir, weil wir keine Karten mehr bekamen, durch ein Fenster eingestiegen. Das war eigentlich illegal (lacht). Ansonsten ging man zu Konzerten in den Bunker Ulmenwall. Da gab es noch einen hohen Kulturetat der Stadt und es spielten manchmal Jazzlegenden. Ich erinnere mich an Champion Jack Dupree und Chet Baker. Das war allerdings sicherlich erst
Ende der 70er Jahre.

„Ich freue mich, dass das Forum in der
Alten Bogefabrik eine neue Heimat
gefunden hat.“

Wolf. D. Meier-Scheuven
Besuchen Sie auch Konzerte hier im „Forum“?

Wir waren früher häufi g im Forum, als es noch in Enger war. Ich freue mich natürlich sehr, dass das Forum hier in der Alten Bogefabrik 1999 eine neue Heimat gefunden hat. Mein Vater, der in dieser Halle einen Großteil seines Berufslebens verbracht hat und eher Klassik oder James Last hörte, hätte wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen (lacht). Ich erinnere mich an ein paar sensationell gute Konzerte von Calexico oder Matt Johnson von The The. Insgesamt gehe ich heute mehr denn je auf Konzerte. Neulich war ich bei Herbie Hancock und kürzlich habe ich ein Festival besucht mit Bands wie Maximo Park, Specials, Elbow und vielen anderen.

Was war Ihre erste Platte? Gibt’s einen All-time-Favorite?

Meine erste Single war „Am Tag als Conny Kramer starb“ von Juliane Werding mit der Melodie von „The Night they drove old dixie down“. Mein Bruder, der zwei Jahre älter ist, kaufte damals schon Beatles, Stones und so weiter. Da hatten wir schnell den gleichen Geschmack. All-time-favorites gibt es einige. Das Beatles-Album „Abbey Road“ gehört dazu. Ich habe mich gefreut, dass das Remaster kürzlich wieder auf Platz 1 der Charts stand.

Sie sind mit Vinyl, Mixtapes und Mal Sondock‘s Hitparade aufgewachsen. Nun wird über Spotify & Co. gestreamt. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Es hat Vor- und Nachteile. Schlecht finde ich die Tonqualität, die überwiegend über Streamingdienste verbreitet wird. Das Datenvolumen ist für die Musik zu gering. Alles wird komprimiert und es kommt so ein rhythmischer Brei dabei heraus. Andererseits findet man heute die meiste Musik sofort bequem zu Hause. Ich kann mich noch erinnern, dass ich in ein Schallplattengeschäft ging, wenn mich etwas interessierte, betteln musste, dass man mir eine Schallplatte aufl egte, die ich dann über zwei an die Ohren gepresste Kopfhörer anhörte. Ich nutze den Streamingdienst „Qobuz“. Der bietet, natürlich gegen Aufpreis, eine ganz gute Hör-Qualität an.

Apropos Digitalisierung: Tut sich der Mittelstand in der Region damit noch schwer?

Das würde ich nicht generell sagen. Viele Mittelständler haben erkannt, dass sich ihr Geschäftsmodell ändert und investieren viel Geld, um sich darauf einzustellen. Manche Branchen, wie Buchhändler und Banken, hat es kalt erwischt. Aber mal im Ernst, was kann ein Bielefelder Buchhändler wirklich gegen die Plattformökonomie eines Amazon ausrichten? Die Maschinenbauer versuchen mit Industrie 4.0 vorn dabei zu sein. Mit dem Spitzencluster it’s OWL, der Founders Foundation in Bielefeld, der garage 33 in Paderborn oder dem Denkwerk in Herford haben wir viele Anknüpfungspunkte zwischen Start-ups und Etablierten. Wenn die Politik wirklich flächendeckendes schnelles Internet schaff t, haben wir hier in der Region gute Voraussetzungen.

Als Unternehmer leiten Sie ein Familienunternehmen, das weit über 100 Jahre alt ist. Ist das manchmal ein Spagat zwischen Tradition und Innovation?

Nein, das würde ich nicht sagen. Tradition prägt Werte und Einstellungen eines Unternehmens. Mein Vater hat mir vermittelt, was es bedeutet, ein ehrbarer Kaufmann zu sein. Wir kennen unseren Markt und haben wichtige Erfahrungen gemacht, wie wir unser Geschäft erfolgreich führen, aber wir sind auch off en für Veränderungen und ergreifen Chancen, wo sie sich bieten.

„Wirtschaft braucht stabile Bedingungen.“

Wolf. D. Meier-Scheuven
Hilft Ihnen Ihr Psychologie-Studium bei Ihren Tätigkeiten?

Was die Methoden anbelangt, bin ich nicht mehr so fit. Aber es hilft mir, mich selbst zu hinterfragen. Dass ich beispielsweise bei Bewerbungsgesprächen offen bleibe und mir nicht gleich in den ersten Minuten eine Meinung über den Bewerber bilde. Ja, bei der Einschätzung von Menschen, in der Gesprächsführung und beim Marketing ist das Studium hilfreich.

Viele Unternehmer erwarten im kommenden Jahr einen konjunkturellen Abschwung. Was erwarten Sie für 2020?

Wir wollen mal schauen. Es stimmt: Die Stimmung ist schlechter geworden, die Sorgen nehmen zu, aber an einer Rezession sind wir durch überraschendes Wachstum im dritten Quartal noch einmal vorbeigekommen. Nach zehn Jahren guter Konjunktur ist eine gewisse Eintrübung vielleicht normal. Der gute Unternehmer bereitet sich jetzt auf eine Veränderung vor und kennt seine Maßnahmen, wenn es schlechter wird, aber ich rate von Panik ab.

Welche Faktoren begünstigen die negative Erwartungshaltung der Unternehmer?

Brexit, aggressive US-Handelspolitik, Fachkräftemangel, fehlende Gewerbeflächen, die Herausforderungen der Digitalisierung – es ist ein Mix aus all dem. Untersuchungen zeigen, dass wir in Bielefeld viel zu wenig Gewerbeflächen für Unternehmen haben. Das schnelle Internet, die Breitbandversorgung ist für die Wirtschaft noch nicht überall in der Stadt verfügbar. Der Fachkräftemangel ist schon an mancher Stelle spürbar. Es wird zunehmend schwierig, Ausbildungsstellen zu besetzen. Die Digitalisierung verschafft den Unternehmen da vielleicht eine Atempause, wenn Tätigkeiten in gewissem Umfang automatisiert werden können. Als exportorientierte Wirtschaft machen uns Handelskrieg, Brexit und protektionistische Tendenzen in vielen Ländern am meisten zu schaffen. Wirtschaft braucht stabile Bedingungen.

Könnte es tatsächlich zu einer Rezession kommen?

Das kann man noch nicht sagen. Es gibt da eine Menge Risikopotenzial. Die Unternehmenssteuern sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zu hoch. Das schränkt uns im Wettbewerb ein. Kommt es zu Zöllen auf unsere wichtigsten Produkte in unseren wesentlichen Absatzmärkten, wird uns das treffen. Die Staatsverschuldung hat seit der Finanzkrise aufgrund der Niedrigzinspolitik deutlich zugenommen. Die Notenbanken fluten die Märkte mit Geld. Das führt zu gefährlichen Fehlentwicklungen, die zur Krise führen können. Deshalb ist es wichtig, dass die Politik die Sorgen der Wirtschaft mal wieder ernsthaft in den Blick nimmt.

Bielefeld verändert sich – wo sehen Sie die Stadt in fünf Jahren, wirtschaftlich und kulturell?

Bielefeld hat große Chancen. Gerade haben wir die letzten Abschnitte der A33 in Betrieb genommen. Das heißt, Bielefeld hat in alle Richtungen eineausgezeichnete Anbindung. Die Universität entwickelt sich prächtig. Mit der Medizinischen Fakultät kommt eine neue Chance für viele Arbeitsplätze und mehr Studierende in die Stadt. Die Stadt muss nun Flächen für Startups und technologische Unternehmensgründungen, aber auch Möglichkeiten für Erweiterungen etablierter Unternehmen und für Ansiedlungen von außen schaff en. Bei der Verkehrswende müssen die Bedürfnisse von Handel und Handwerk berücksichtigt werden. Dann wird die Stadt sich weiterhin positiv entwickeln. Kulturell hat Bielefeld einiges zu bieten. Die Neugestaltung der Oetkerhalle ist gelungen. Wir haben tolle Theater, Kneipen, Restaurants und viel Natur. Bielefeld ist gut. Wünschen würde ich mir persönlich einen Veranstaltungsort wie die Waldbühne in Berlin.

Und welche Band würden Sie gerne einmal live in Bielefeld erleben?

Ach, für die richtigen Top Acts hat Bielefeld nicht die richtige Location. Ich mag lieber die intimeren Clubkonzerte, bei denen man das Gesicht des Musikers erkennt und sieht, was er spielt. Ich würde auf jeden Fall zu Konzerten von The War on Drugs, Joan as Police Woman oder Blue Stones gehen.